Das dunkle Universum 1 - Traeumende Leere
sich Edeard nicht. Stattdessen steuerte er auf eine schmale, seltsam verwinkelte Felsspalte am westlichen Ende des Steilabhangs zu, nur dreißig Meter entfernt von der Stelle, wo der das Dorf umschließende Schutzwall begann.
Er musste ein paar glatt geschliffene Gesteinsbrocken hochklettern, um die Spalte zu erreichen, die obere Kante zu ergreifen und sich in die Finsternis zu schwingen. Jeder, der auch nur ein bisschen größer gewesen wäre als er, hätte echte Schwierigkeiten gehabt, durch die Öffnung zu kommen; er selbst würde sie wahrscheinlich nur noch ein weiteres Jahr benutzen können. Als er sich im Innern der Höhle befand, tat sich ein Durchgang vor ihm auf und das sanfte Longtalk-Hintergrundraunen des Dorfes riss abrupt ab. Seine unmittelbare Welt schrumpfte zu einer nasskalten, bedrückenden Dunkelheit zusammen; selbst sein Fernblick vermochte durch Fels dieser Stärke hindurch nichts zu erkennen. Das Einzige, was er ausmachen konnte, war der freie Hohlraum um ihn herum. Erst nachdem er um eine Biegung geschritten war, sah er vor sich das Flackern von gelblichem Licht.
Sieben Lehrlinge hatten sich in der engen Höhle mit ihrer hohen, zerklüfteten Decke versammelt und saßen um ein paar zerbeulte alte Lampen herum, deren Dochte schwarz und nicht zu knapp qualmten. Ihr Gespräch verstummte, als er eintrat, dann erblühte ein kollektives Lächeln auf ihren Gesichtern und hieß ihn willkommen. Es war ein gutes Gefühl, dazuzugehören. Sogar Obron hob erfreut eine Hand. Fahin winkte zu ihm herüber. Edeard war sich der beinahe katzenhaften Aufmerksamkeit, mit der Zehar ihn ansah, äußerst bewusst und begrüßte sie mit einem nervösen Grinsen. Sie schenkte ihm ein raubtierartiges Lächeln.
»Wir hatten schon gar nicht mehr mit dir gerechnet«, sagte Fahin.
»Bin ein bisschen aufgehalten worden«, erklärte Edeard. Er öffnete seine Tasche und holte eine große Weinflasche hervor, die ihm ein paar anerkennende Pfiffe einbrachte, als er sie hochhielt.
Fahin beugte sich näher zu ihm heran. »Dachte schon, du hättest Angst vor Zehar«, murmelte er in verschwörerischem Flüsterton.
»Gütige Herrin, hat sie es eigentlich jedem erzählt außer mir?«
»Ich hab zufällig mitbekommen, wie Marilee davon sprach. Als sie versucht hat, Kelina zu überreden, ihr etwas Vinak-Saft aus Seneos Arzneischrank zu besorgen. Ich dachte, dass du auch daran beteiligt wärst.«
»Nein«, knurrte Edeard.
»Okay. Nun, sollte Bedarf entstehen, mit Betonung auf stehen , frag mich einfach. Ich kann dir ein Fläschchen besorgen, ohne dass jemand es merkt, vor allem nicht Seneo.«
»Ich werd dran denken, besten Dank.«
Fahin nickte ostentativ gleichgültig. Eine Haltung, die von seinen unbeteiligten Oberflächengedanken noch verstärkt wurde. Er schnallte sich seinen alten Lederranzen vom Rücken und kramte ein paar getrocknete Kestric-Blätter hervor. Sofort rückten sie ins Zentrum des unverhohlenen Interesses der anderen Lehrlinge.
Edeard veränderte seine Sitzposition und machte den Wein auf. Er war dunkelrot, was, wie Akeem behauptete, stets ein Zeichen für Qualität war. Edeard hingegen war sich da nicht ganz so sicher. Alle Weine, die man in Ashwell bekam, besaßen einen starken Beigeschmack, der gut und gern bis zum nächsten Tag anhalten konnte. Er nahm an, dass er sich irgendwann daran gewöhnt haben würde, aber was das wirkliche Mögen betraf …
»Fahin, wo siehst du dich in fünfzig Jahren?«, fragte Edeard.
Der schlaksige Lehrling der Ärztin blickte von dem kleinen Schiefermörserstößel auf, den er sich gerade bereitlegte. »Du bist heute Abend ziemlich ernst drauf, mein Freund. Allerdings hat sie wohl diese Wirkung auf Leute.«
Für einen Augenblick dachte Edeard, er spräche von Salrana, dann huschte Fahins Blick, stark vergrößert hinter seinen überdimensionalen Linsen, kurz zu Zehar hinüber.
»Nein«, erwiderte Edeard gereizt. »Im Ernst, komm schon, was ist in fünfzig Jahren? Worauf arbeitest du hin?«
»Na, ich werde natürlich Doktor sein. Seneo ist in Wirklichkeit wesentlich älter, als den meisten Leuten bewusst ist. Und sie sagt, ich wäre ihr vielversprechendster Lehrling seit Jahrzehnten.« Mit gleichmäßigen Bewegungen begann er mit dem Stößel die Kestric-Blätter im Mörser zu zerreiben.
»Und das ist es dann? Dorfarzt?«
»Ja.« Fahin wandte den Blick von Edeard ab, seine Gedanken nahmen eine gewisse Schärfe an. »Ich bin nicht wie du, Edeard. Hol mich der Honious, ich bin
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