Das dunkle Universum 1 - Traeumende Leere
hergestellt wurden, Glas beispielsweise. Den Lehrlingen war erlaubt worden, einige Beispiele ihrer eigenen Arbeiten zum Verkauf oder Tausch mit hierherzubringen und Edeard war mehr als erstaunt, als Obron ein wunderschön geschnitztes und auf tiefschwarzen Hochglanz poliertes Kästchen aus Martozholz zum Vorschein brachte. Wer hätte gedacht, dass ein Ekelpaket wie er etwas so Zauberhaftes zustandebringen konnte? Vier ganze Pfund gab ihm ein Kaufmann dafür.
Edeard selbst hatte sechs Ge-Spinnen im Gepäck. Stets am schwierigsten von allen Standardgattungen zu formen, waren sie wegen der Dro-Seide, die sie spönnen, überaus begehrt. Und diese hier waren gerade erst geschlüpft und würden noch für weitere acht oder neun Monate leben. In dieser Zeit würden sie genug Seide produzieren, um daraus etliche Gewänder oder Waffenröcke herzustellen. Drei Frauen aus der Webergilde überboten sich gegenseitig, um sie zu erwerben. Zum ersten Mal in seinem Leben war sein Fernblick nicht imstande zu erkennen, wie erpicht sie auf die Tiere waren, während sie mit ihm feilschten. Sie überdeckten ihre Gefühle mit eiserner Gelassenheit, die Bewusstseinsoberflächen so glatt wie ein Genistar-Ei. Er konnte nur hoffen, dass es bei ihm genauso war, als er sich einverstanden erklärte, sie für fünf Pfund das Stück zu verkaufen. Ob sie seine Euphorie wohl spürten? Bestimmt. Es war mehr Geld, als er in seinem Leben jemals auf einem Haufen gesehen, geschweige denn in der Hand gehalten hatte.
Irgendwie gelang es ihm nicht, es sehr lange bei sich zu behalten. Der Markt war riesig, mit so vielen märchenhaften Dingen an jeder Ecke. Allein die Kleider waren von einer Qualität, wie man sie in Ashwell selten fand. Er kam sich beinahe ein wenig illoyal dabei vor, hier einzukaufen, aber er brauchte so dringend einen ordentlichen langen Ölmantel für den kommenden Winter und entdeckte einen mit gestepptem Futter. Des Weiteren fand er an einem anderen Verkaufsstand ein Paar kniehohe Stiefel mit stabilen Seidenharzsohlen, die mit Sicherheit jahrelang halten würden und somit eine gute Investition darstellten. Außerdem gab es hier breitkrempige Lederhüte zu kaufen, die im Sommer die Sonne und im Winter den Regen abhielten, wie ihm der Lederer-Lehrling erklärte. Sie war ein bildhübsches Mädchen und schien aufrichtig besorgt zu sein, dass er den richtigen Hut für sich wählte. Er zog das Schachern um den Preis soweit er es wagte in die Länge.
Seine Lehrlingskameraden lachten, als er in seinem neuen Staat wieder zurückkam. Was nicht hieß, dass sie ihr eigenes Geld nicht ebenfalls sofort wieder ausgegeben hätten. Und nur die wenigsten hatten es so zweckdienlich angelegt wie Edeard.
An diesem Abend erlaubte Melzar ihnen, sich ohne Begleitung in den Wirtshäusern der Stadt umzusehen, allerdings unter Androhung der entsetzlichsten Strafen, falls es einem von ihnen einfallen sollte, sich nicht zu benehmen. Edeard schloss sich Alcie, Genril, Janene und Fahin an. Den ersten Teil des Abends verbrachte er hauptsächlich damit, nach dem Lederer-Lehrmädchen Ausschau zu halten, doch als sie im dritten Wirtshaus eintrafen, hatten die ungewohnten Biere der Stadt bereits dazu geführt, dass sie zu nichts anderem mehr in der Lage waren, als noch mehr Bier zu trinken. Und zu singen. Der Rest des Abends blieb für immer jenseits ihrer Erinnerung.
Als er zusammengesackt unter einem der Ashwell-Karren zu sich kam, wusste Edeard, dass er im Sterben lag. Offensichtlich war er vergiftet und dann ausgeraubt worden. Viel zu viel fehlte von seinem Geld, er konnte kaum stehen, er konnte nichts essen und er stank schlimmer als die Ställe. Außerdem war es die erste Nacht, nach der er sich nicht erinnern konnte, von seinen seltsamen Träumen heimgesucht worden zu sein. Dann stellte er fest, dass eine Massenvergiftung stattgefunden haben musste, denn sämtliche Lehrlinge befanden sich in dem gleichen Zustand wie er. Und sämtliche Erwachsenen fanden es umwerfend komisch.
»Wieder eine Lektion gelernt«, dröhnte Melzar. »Alle Achtung. Wenn ihr in dem Tempo weitermacht, Leute, werdet ihr euren Abschluss in Rekordzeit schaffen.«
»Die Sau«, schnaufte Fahin, als Melzar davonstiefelte. Er war ein groß gewachsener Junge, so dünn, dass er fast wie ein Skelett aussah. Als Lehrling einer Ärztin hatte er es geschafft, eine der wenigen Brillen in Ashwell zu ergattern, um sein schlechtes Sehvermögen auszugleichen, auch wenn sie nicht ganz passend für ihn war.
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