Das dunkle Universum 2 - Schwarze Welt
hatte er seinen neuen Freunden niemals die ganze Wahrheit über Ashwell erzählt. Alles, was sie wussten, war, dass seine Familie Banditen zum Opfer gefallen war.
»Das tut mir leid«, sagte sie. Zum ersten Mal hob sie den Schleier von ihren Gedanken und gestattete ihm, das Mitgefühl, das sie empfand, zu spüren. »Was es sehr schlimm?«
»Salrana und ich haben überlebt. Und außer uns nur noch fünf andere.«
»Oh, Herrin! Edeard.« Sie ergriff seinen Arm.
»Keine Sorge. Ich hab mich damit abgefunden. Allerdings hab ich meinen Meister verloren, Akeem. Ich vermisse ihn immer noch.« Die Gefühlsströme, die in seinen Gedanken aufwallten, waren ebenso unerwartet wie beängstigend stark. Er hatte tatsächlich geglaubt, alle Rührseligkeit und Trauer hinter sich gelassen zu haben. Und jetzt, wo er doch nur ein einziges Bild von seinem einstigen Zuhause heraufbeschworen hatte, brachen die Gefühle mit gleicher Macht über ihn herein wie am Tag der Katastrophe.
»Du solltest mit einer Mutter der Herrin darüber sprechen. Sie wissen immer ausgezeichneten Rat.«
»Ja, sicher. Vielleicht.« Er erteilte seinen Beinen den Befehl, sich wieder in Bewegung zu setzen. »Komm. Ich fürchte, Chae wird morgen nicht gerade zimperlich mit uns umgehen.«
Die Ge-Affen legten Dinlay auf die Matratze und breiteten eine dünne Decke über ihn. Dabei ächzte er nur dann und wann leise und wälzte sich ein bisschen hin und her. Edeard konnte sich nicht aufraffen, seinem Freund die Stiefel auszuziehen, er fühlte sich plötzlich selbst unendlich müde. Er schaffte es gerade noch, sich seiner eigenen Stiefel und Hosen zu entledigen. Die Ge-Schimpansen des Schlafsaals eilten geschäftig hin und her, um seine Schmutzwäsche einzusammeln.
Natürlich war sein Geist, nun, da er endlich im Bett lag, viel zu rastlos, um ihm den Schlaf zu gewähren, nach dem sein Körper sich sehnte. Er sendete einen Gedankenbefehl an das leuchtende Rosettenmuster an der Decke des Hauptsaals. Die Lichtquelle dimmte sich so weit herunter, bis sie nur mehr schwach schimmerte wie ein Sternennebel. Das war so ziemlich die einzige Reaktion, welche die Stadt auf die Gedanken ihrer menschlichen Bewohner hin jemals gezeigt hatte. Die Ge-Schimpansen kamen wieder zur Ruhe. Von unten drangen gedämpfte Geräusche herauf und raunten wie ein leises Flüstern durch den großen, verlassenen Raum – das übliche Kommen und Gehen der Nachtschicht-Wachtmeister.
Edeard hatte sich nie wirklich daran gewöhnt, wie die Wände in der Stadt sich bogen und krümmten. Daheim in Ashwell hatte man sich mit geraden, rechtwinkligen Wänden begnügt; der neunseitige Innenhof seiner ehemaligen Gilde war dabei schon als ziemlich abenteuerliches Stück Architektur angesehen worden. Hier im Schlafsaal waren die ovalen Bettnischen beinahe selbst schon Zimmer für sich, mit gewölbten Eingängen zweimal so hoch wie Edeard groß war. Er stellte sich gern vor, dass der Saal in Wirklichkeit eine Art Schlafzimmer für Adlige gewesen war und dass das Volk, das Makkathran einst erschuf, aus mehr als zwei Geschlechtern bestanden hatte. Daher die sechs Betten. Das würde die Wache zu einem wichtigen Gebäude machen. Allerdings konnte er sich beim besten Willen keinen Reim auf das Honigwabengewirr aus kleinen unterirdischen Kammern machen, die nun als Gefängniszellen und Vorratsräume dienten. Was war ihr ursprünglicher Zweck gewesen?
Während er über die Frage nachgrübelte, ließ er seine Fernsicht durch das graue Panorama der Wachgebäudestruktur schweifen. Das Bild, das er empfing, schien ihn völlig zu umhüllen. Eine Schwere zog an seinem Bewusstsein, dann sank er fast geisterhaft durch den Boden des Kellers. Er sah Risse in dem Erdreich darunter – glatte Spalten, die sich schlängelten und bogen, als ob sie sich immer tiefer und tiefer hinabwänden. Einige waren nicht breiter als ein Finger, andere so groß, dass man hindurchgehen konnte. Sie verästelten und kreuzten sich, bildeten ein kompliziertes Filigran, welches in Edeards überspannter Vorstellung den Blutgefäßen in einem menschlichen Körper glich. Er fühlte Wasser durch einige dieser Adern pulsieren, während durch andere starke Winde bliesen. In mehreren der schmaleren Spalten konnte er violette Lichtfäden erkennen, die zu brennen schienen, ohne den Spaltenwänden irgendetwas anzuhaben. Er versuchte, sie mit seiner dritten Hand zu berühren, nur um durch sie hindurchzugleiten, als griffe er nach einer
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