Das dunkle Universum 3 - Im Sog der Zeit
sah ihr nach, wie sie die Holztreppe zu der märchenhaften Zikkuratresidenz hinaufsprang, die über ihnen in den Himmel ragte. Der Saum ihres Nachtgewands flatterte um ihre Knie. Ich darf nicht auf ihre Beine gucken. Auf gar keinen Fall.
Kanseens Kopf reckte sich geschmeidig über seine linke Schulter. »Dir ist hoffentlich klar«, sagte sie ruhig, »dass du nicht wirklich mit jedem Mädchen in dieser Stadt in die Kiste steigen kannst?«
Edeard schaute auf Kristabels Beine, nun doch. Dünn, ja; aber auch ziemlich wohlgeformt. »Ich weiß«, erwiderte er wehmütig.
Verspielt küsste Kanseen sein Ohr. »Andererseits könntest du weit schlimmer danebengreifen als mit Kristabel.«
3
Die Nacht war so schwarz, wie nur Hankos dichte Decke aus Sturmwolken sie hervorzubringen vermochte. Heulend peitschte der Wind um die Blöcke aus Eis und brachte eine seltsam antagonistische Harmonie hervor. Gleichzeitig verwandelten sich am Himmel verästelnde Blitze die freudlose Landschaft in eine monochrome Welt aus Umrissen und Schatten.
Direkt an der Kante des Asiatischen Gletschers erwachte hervorberstend ein rötlich orangenes Flackern zum Leben, das eine gespenstische Aura um die gigantische Klippe herum schuf und sofort wieder verging. Zurück blieb ein Zittern, als würde das Eis selbst erschauern. Nach einer Weile schoss die Gischt aus rötlichem Licht aufs Neue empor. Heller diesmal. Größere Eisbrocken hüpften auf und nieder und bebten unter den Vibrationen, die hämmernd durch die Oberfläche tobten.
Eine Pause, gefüllt von dem unaufhörlichen Jaulen des Blizzards.
Wieder kam das Licht zum Vorschein. Dieses Mal brachen Eisstücke aus der oberen Kante des Kliffs und trudelten davon in den meilentiefen Abgrund.
Eine Hand in einem dicken grauen Panzerhandschuh kroch herauf und tastete auf der Suche nach sicherem Halt umher.
Aaron stemmte sich hoch und wälzte sich auf die Eisplatte. Nach einem kurzen Moment kam er mühsam auf die Beine. Mit seinem biononischen Feldscan strich er über die unmittelbare Umgebung und versuchte, die Spuren des Ground Crawlers auszumachen. Der Pfad, den er genommen hatte, war deutlich genug: Er führte den gleichen Weg, den sie durch das Blockfeld hierhergekommen waren, wieder zurück.
Er setzte sich in Bewegung und machte sich an die Verfolgung.
Er war sehr, sehr wütend.
Das Clippsby- Café auf der Daryad Avenue servierte genau die Art von Frühstück, wie Oscar es liebte. Industrieller starker Kaffee, Schinkenbaguettes und Mandelcroissants mit einem kleinen Schälchen Agal-Sirup zum Tunken.
Trotzdem sie alle drei Ellezelin-Polizeiuniformen trugen, bediente der Besitzer sie erstaunlich zügig. Die einzigen anderen Gäste waren ebenfalls Ellezelin-Polizisten, die sich zwischen ihren Einsätzen rasch ein spätes Frühstück gönnten.
Dabei hätte an diesem Morgen eigentlich alles so ganz anders sein sollen. Jeder in der Stadt war die Nacht über aufgeblieben, um Justines heroischen Ansturm auf die Leere mitzuverfolgen. Unisphäre wie Gaiafield waren durch das Auftauchen des Zweiten Träumers wie in einem Taumel, die Gerüchte und Spekulationen fesselten gegenwärtig Milliarden.
Doch hier in Colwyn war die Atmosphäre des Staunens durch die Razzia des Begrüßungsteams empfindlich gestört worden. Draußen im Park vor dem Apartmentblock hatten sich zahllose Menschen befunden. Ihre Reaktion auf einen solch dreisten Akt war relativ vorhersehbar gewesen; unablässig hatten sie die paramilitärischen Truppen in dem Kordon provoziert und verspottet. Ob es zu einem offenen Aufstand kam, stand auf des Messers Schneide. In der Folge wirkte die Stadt sogar noch gelähmter als gestern. Nur sehr wenige Einwohner waren zur Arbeit gegangen. Entweder aus Angst, in irgendwelche Auseinandersetzungen zu geraten, oder weil sie losgezogen waren, um sich der Menge in Bodant oder anderen Brennpunkten anzuschließen. Irgendwo, wo sie vielleicht in den Genuss kamen, ein paar unglückseligen Sicherheitskräften einen ordentlichen Tritt in ihren außerplanetaren Hintern verpassen zu können. So oder so, im Stadtzentrum waren jedenfalls fast alle Läden geschlossen.
Oscar ließ sich von der Bedienung nachgießen und bedankte sich lächelnd. Der Café-Besitzer mochte seine Angestellte vielleicht dazu verdonnert haben, ihn zu bedienen, doch das hieß offenbar noch lange nicht, dass sie auch zurücklächeln musste. »Also, was nun?«, fragte er Tomansio, als die Frau wieder davongestapft war und die
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