Das dunkle Universum 3 - Im Sog der Zeit
keinen Ausweg aus der Situation sahen. Nachdem ich die Hauptschuldigen verbannt hab, hat sich alles geändert. Ihr sagt ja selbst, dass die Stadt jetzt schon ein glücklicherer Ort ist, und es sind gerade mal zwei Wochen vergangen.
Die Lehren der Herrin sind überall, sie sind inzwischen ein tief verwurzelter Teil unserer Kultur, hier in der Stadt wie draußen in der fernsten Provinz. Sie sind das Einzige, was uns wirklich verbindet, die einzige Gemeinsamkeit, die wir haben. Wir alle wissen instinktiv, dass wir danach streben sollten, uns zu bessern und ein redlicheres Leben zu führen, auch wenn uns nicht ganz klar ist, wie.«
»Das ist nur die menschliche Natur.«
»Mag sein. Aber die Herrin sieht es mit Wohlgefallen und ermutigt uns, diesem Instinkt zu folgen. Sie gibt uns eine starke Rechtfertigung, ihn weiterzuentwickeln. Ihre Mütter predigen seit zweitausend Jahren nichts anderes. Du kannst mir nicht erzählen, dass etwas so lange Bestand hat, wenn es nicht als fundamentale Wahrheit begriffen wird. Wir wissen, dass die Skylords da draußen auf uns warten, um uns zum Herzen zu führen, und wir haben, wie ich allen gezeigt hab, Seelen, die dieser Führung dringend bedürfen.«
»Was, in der Herrin Namen, hat das alles mit Marcol zu tun?«, fragte Macsen.
»Ich besitze die Kraft, die Stadt zu beeinflussen, und ich bin mir ziemlich sicher zu wissen, wie diese Kraft benutzt werden sollte. Angenommen, ich bin nicht der Einzige, der diese Fähigkeit hat. Angenommen, ich bin einfach nur der Erste? Angenommen, es ist die Zeit gekommen, da Querencia die Stufe an Anstand und Erfüllung erreicht hat, die nötig ist, um die Skylords wieder zu uns zu rufen?«
Kanseen starrte ihn an; sie machte nicht mal den Versuch, ihre Verblüffung zu verbergen. »Marcol? Marcol ist wie du?«
»Er besitzt eine verdammt starke mentale Begabung«, erwiderte Edeard. »Was, wenn das Teil der Erfüllung ist, von der die Herrin spricht? Was, wenn nun auch andere auftauchen, wenn immer mehr Kinder beginnen, dieses Potenzial zu zeigen.«
»Herrin hilf«, ächzte sie. »Marcol?«
»Hör auf, seinen Namen auszusprechen, als war er ein Fluch«, entgegnete Edeard gereizt. »Er ist nur ein Kind wie jedes andere. Was einmal aus ihm werden wird, hängt in hohem Maße von seinem Umfeld ab. Den besten Start hatte er mit diesen Eltern jedenfalls nicht. Naja, jetzt versuche ich ihm eben zu helfen, mehr aus sich zu machen. Das Letzte, was wir brauchen, ist eine Spaltung unter denen von uns mit überdurchschnittlichen geistigen Kräften – es ist schon schlimm genug, dass die Großen Familien das Gleichgewicht zu ihren Gunsten verzerrt haben. Wir müssen Menschen wie Marcol und allen, die noch kommen mögen, zeigen, dass wahre Erfüllung in einer starken Gesellschaft begründet liegt. In einer Gesellschaft, die sich umeinander kümmert, in der die Menschen sich nicht nur um sich selbst sorgen, sondern sich auch gegenseitig helfen.«
»Und das wird uns die Skylords zurückbringen?«, fragte Macsen skeptisch.
»Hast du eine bessere Idee?«, konterte Edeard. »Ich freue mich, mal was anderes auszuprobieren. Du hast gesehen, wie Boyd und Chae ihre Reise angetreten haben. Sie sind irgendwo da draußen und versuchen, zu Odins See zu gelangen. Du weißt inzwischen, dass dieser Teil der Lehren der Herrin der Wahrheit entspricht.«
Macsen fuhr sich mit der Hand durch die Haare. »Ich weiß«, gab er zu. »Aber … Marcol!«
»Marcol – und andere«, sagte Edeard.
»Hast du schon andere gespürt?«, fragte Kanseen. »Leute mit stärkeren Kräften?«
»Noch nicht. Aber diese Stadt animiert die Leute dazu, ihre Fähigkeiten zu verbergen. Und sie zu ihrem eigenen Vorteil zu nutzen.«
»Du hast gerade gesagt, dass wir größere Erleuchtung erlangen werden«, sagte Macsen.
»Werden, stimmt genau«, erwiderte Edeard. »Es ist immer noch ein langer Weg.«
Edeard hatte die Malfit-Halle noch nie so voll erlebt. Jeder Fußbreit Boden war von großen Tischen eingenommen, an denen Schreiber saßen und die Berge von Stimmzetteln auszählten. Für jeden Distrikt war ein Stapel reserviert, dessen Position auf den Tischen der Lage des jeweiligen Stadtviertels entsprach. Immer noch lieferten Schreiber und Konstabler versiegelte Kisten ab und machten sich daran, weitere Zettellawinen auf die Tische zu schütten.
Bürgermeister Owain stand am oberen Ende der Treppe von seinem Stab und seinen Anhängern umringt, die miteinander plauderten, als ob es ein Tag wie
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