Das dunkle Volk: Eishauch: Roman (Knaur TB) (German Edition)
betraten.
Der Wald war still, nur der Kuss von Schnee auf Schnee war zu hören. Die Zweige der Tannen und Zedern waren schneebeladen und sahen aus wie auf einer Weihnachtskarte, aber das Fehlen jeglicher Geräusche im Wald war irritierend. Kein Vogelgezwitscher, kein Rascheln oder Knacksen, das verriet, dass ein kleines Tier durchs Unterholz brach; tatsächlich gab es nicht einmal einen Hinweis darauf, dass in diesem Wald überhaupt Leben existierte.
Unser Atem kam in dicken weißen Wölkchen, und mein Gesicht schmerzte bereits vor Kälte. Chatter lief leichtfüßig auf dem Schnee und hinterließ kaum Spuren, aber Peyton und ich waren nicht so begünstigt.
»Es wäre so viel leichter, hinzufliegen, aber dann hätte ich keine Kleider, wenn ich mich zurückverwandle«, sagte ich leise. Man konnte nie wissen, was hinter dem nächsten Busch hockte und lauschte.
»Mysts Spinnen haben wir ja bereits erlebt, so dass wir uns schützen können«, sagte Chatter. »Aber hütet euch – Eis- und Schneeelementare sind ebenfalls gefährlich, wenn sie jemandem wie Myst angeschworen worden sind. Man kann sie nicht töten. Wenn man sie zerschmettert, formieren sie sich einfach wieder neu.«
»Hätten wir besser doch Rhiannon mitgenommen? Ihr Feuer hätte uns vielleicht nützen können.«
Er schüttelte den Kopf. »Sie ist nicht stark genug, um den Trip zu unternehmen. Du und Peyton seid kampferprobt und zäh. Rhiannon und ihr Beau sind weder so fähig wie ihr noch körperlich so fit.« Als er das Wort Beau aussprach, klang seine Stimme belegt. Chatter war verliebt in meine Cousine, und jeder wusste es, aber niemand wollte das Thema ansprechen.
»Bist du je am Hof der Träume gewesen?« Ich beschleunigte das Tempo, da ich den Wald vor Einbruch der Dunkelheit hinter mir lassen wollte.
»Nein, Miss Cicely, ich noch nicht. Aber Grieve schon. Einmal war er entgegen den Befehlen der Königin dort. Das hat großen Ärger gegeben.« Wieder brach seine Stimme, und er schüttelte den Kopf, als wollte er die Vergangenheit loswerden. »Besser man rührt nicht an Zeiten, die längst vergangen sind. Selbst wenn wir gewinnen, wird nichts mehr so sein wie früher.«
Peyton räusperte sich. »Nein, das wird es nicht, aber vielleicht wird es auch nicht so schlimm, wie du denkst. Manchmal bringt Veränderung auch neues Wachstum. Ich weiß, das klingt nach einer Plattitüde, aber es ist viel Wahres dran. Als mein Vater abgehauen war, musste meine Mutter unser ganzes Leben neu strukturieren. Ich war noch zu klein, um mich an viel zu erinnern, aber ich weiß noch, dass wir aus dem großen Haus aus- und in eine winzige Wohnung einziehen mussten, und plötzlich hatte ich keinen Papa mehr. Er ist nie zurückgekommen, und das Gefühl, verlassen worden zu sein, tut noch immer weh, aber wir haben es geschafft. Und wir haben gelernt, das Leben wieder zu genießen.«
Ich lächelte sie an und schauderte. »Ich hatte nie ein Zuhause bis auf das Haus der Schleier. Diesen Ort habe ich im Herzen mit mir getragen, denn er stand für Stabilität. Heather war die einzige Mutterfigur, die ich gekannt habe. Meine eigene Mutter, Krystal, war …«
Ich hielt inne, als Bilder meiner Erinnerung in mir aufstiegen. Vor meinem geistigen Auge sah ich wieder, wie wir vor Vermietern, die ihr Geld eintreiben wollten, flüchteten oder vor Freiern, die Krystal bestohlen hatte, nachdem sie mit ihnen gevögelt hatte. Es war nicht schwer gewesen, ihnen zu entgehen: Meistens hatte ich etwas im Wind aufgefangen, so dass wir rechtzeitig unsere Zelte abbrechen konnten. Obwohl meine Mutter ihre und meine Zauberkraft gehasst hatte, war sie ihr dennoch willkommen gewesen, wenn sie dadurch Ärger aus dem Weg gehen konnte.
Die einzigen vorübergehenden Konstanten, die ich in diesem Leben gehabt hatte, waren Onkel Brody, den ich mit sieben kennengelernt und der mir beigebracht hatte, welche Regeln man befolgen musste, wenn man überleben wollte, und Dane, der Mann, der mich tätowiert und Krystal geliebt hatte. Doch auch diese Beziehung hatte sie verschenkt, so wie sie alles verdarb, was gut war, und wieder waren wir auf der Straße und unterwegs gewesen, und Dane war bald darauf bei einem Überfall erschossen worden.
Ich schüttelte den Kopf. »Krystal war ein echter Loser. Sie war schwach, und sie ist gestorben, weil sie der Realität nicht ins Auge sehen konnte. Ich würde mir niemals erlauben, so zu werden wie sie.« Ein Blick in den Himmel sagte mir, dass der Schneefall dichter
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