Das Echo aller Furcht
langsam. Der junge Staatsanwalt ging von der Vermutung aus, daß er keine Beweise für ein Schwurgericht zu sammeln und deshalb etwas mehr Spielraum hatte. Er bezweifelte, daß Ryan so dumm gewesen war, bewußt gegen ein Gesetz zu verstoßen. Die Vorschriften der Börsenaufsicht waren gedehnt, vielleicht sogar gebogen worden, aber aus einer Prüfung der Ermittlungsakte ging hervor, daß Ryan in gutem Glauben und aus der Überzeugung heraus gehandelt hatte, keine Regel zu verletzen. Diese Einschätzung Ryans mochte eine reine Formsache gewesen sein, aber im Recht ging es nun mal um Formsachen. Die Börsenaufsicht hätte Druck ausüben und vielleicht sogar einen Prozeß anstrengen können, aber zu einer Verurteilung wäre es nie gekommen ... möglicherweise hätte man sich außergerichtlich einigen oder ihn zu der Erklärung zwingen können, daß er sich der Fragwürdigkeit seines Handelns bewußt gewesen war. Aber auch das bezweifelte Wellington. Ryan hätte ein solches Ansinnen glattweg abgelehnt. Er war ein Mann, der sich nicht herumschubsen ließ. Dieser Mann hatte Menschen getötet. Wellington schüchterte das nicht ein. Er sah darin nur einen Hinweis auf Ryans Charakterstärke. Ryan war ein harter Brocken, der ein Problem frontal anging, wenn’s sein mußte.
Und das ist sein schwacher Punkt, sagte sich Wellington.
Er greift an. Es mangelt ihm an Finesse. Ehrliche Menschen begingen diesen Fehler, und in der politischen Landschaft war das ein schweres Handicap.
Allerdings genoß Ryan politische Protektion. Trent und Fellows waren mit allen Wassern gewaschen.
Wellington sah sich vor zwei Aufgaben gestellt: Erstens mußte er Belastungsmaterial gegen Ryan finden und zweitens seine politischen Verbündeten neutralisieren.
Wellington klappte eine Akte zu und schlug eine andere auf: Carol Zimmer.
Zuerst sah er ein Lichtbild von der Einwanderungsbehörde, das Jahre alt war - damals bei der Einreise war sie im wahrsten Sinn des Wortes eine Kindbraut gewesen, ein zierliches Persönchen mit einem Puppengesicht. Ein neueres, von einem seiner Assistenten aufgenommenes Foto zeigte eine reife Frau von knapp vierzig, deren Gesicht nun einige Falten aufwies, die aber irgendwie noch schöner aussah als zuvor. Der schüchterne, fast gehetzte Ausdruck auf dem ersten Bild – verständlich, da es kurz nach ihrer Flucht aus Laos aufgenommen worden war – war dem einer Frau gewichen, die sich ihrer Stellung im Leben sicher sein konnte. Ein liebes Lächeln hat sie, dachte Wellington.
Der Jurist entsann sich einer Kommilitonin, Cynthia Yu, die sehr gut im Bett gewesen war und ähnliche Augen gehabt hatte... schelmisch, fast wie eine Kokotte.
Moment, dachte er, habe ich da etwas?
Ist die Sache so simpel?
Ryan war verheiratet. Ehefrau: Dr. med. Caroline Muller-Ryan, Augenchirurgin. Lichtbild: die typische Weiße angelsächsischer Abstammung, aber katholisch. Schlank, attraktiv, Mutter zweier Kinder.
Die Tatsache, daß ein Mann eine hübsche Frau hat, bedeutet noch nicht...
Ryan hatte Geld für die Ausbildung der Kinder von Carol Zimmer in eine Stiftung eingebracht ... Wellington schlug eine neue Akte auf, die eine Fotokopie der Urkunde enthielt.
Ryan hatte sie, wie er sah, allein unterzeichnet und von einem Anwalt und Notar in Washington – aber nicht seinem Hausanwalt! – beglaubigen lassen. Caroline Ryan hatte nicht mitunterschrieben ... war sie überhaupt informiert gewesen? Nach Aktenlage nicht.
Nun sah sich Wellington die Geburtsurkunde des jüngsten Kindes der Zimmers an. Der Ehemann war bei einem Manöverunfall ums Leben gekommen. . . der Zeitpunkt war nicht eindeutig. Sie konnte in der Woche, in der ihr Mann gestorben war, schwanger geworden sein ... oder auch nicht. Es war ihr siebtes Kind... oder das achte? Die Schwangerschaft mochte neun Monate oder weniger gedauert haben. Erstgeburten kamen oft verspätet, spätere Kinder gerne verfrüht. Geburtsgewicht: 2466 Gramm, etwas unter dem Durchschnitt. Aber sie war als Asiatin zierlich ... waren die Kinder solcher Frauen kleiner? Wellington machte sich Notizen und mußte feststellen, daß er eine Reihe von Vermutungen hatte, aber keine einzige Tatsache.
Aber suchte er überhaupt nach Fakten?
Ah, der Fall der beiden Skins. Ryans Leibwächter, Clark und Chavez, hatten einen durch die Mangel gedreht, wie sein Ermittler bei der Polizei des Anne Arundel County nachprüfen konnte. Die Ortspolizei hatte Clark seine Version des Hergangs abgenommen. Die Jugendlichen
Weitere Kostenlose Bücher