Das Echo aller Furcht
Sinn und Zweck war in beiden Fällen das Töten. Nur sorgte das Gewehr für »saubere« Beerdigungen.
Die Garde war auch mit Gewehren des schweizerischen Herstellers SIG ausgerüstet und trug nicht ausschließlich Renaissance-Kostüme. Seit dem Anschlag auf den Papst hatten viele Männer eine zusätzliche Ausbildung erhalten – unauffällig natürlich, denn martialische Praktiken paßten nicht zum Image des Vatikans. Ryan fragte sich, wie der Vatikan offiziell zum Todesschuß stand und ob der Kommandeur der Schweizergarde sich ärgerte, weil Vorgesetzte, die weder die Art der Bedrohung noch etwas von der Notwendigkeit durchgreifender Schutzmaßnahmen verstanden, ihm Beschränkungen auferlegten. Bestimmt aber nutzten die Männer der Garde ihren Spielraum, so gut sie konnten, murrten, wenn sie unter sich waren, und äußerten, wenn ihnen der Zeitpunkt recht erschien, ihre Meinung – wie jeder in diesem Geschäft.
Empfangen wurden sie von einem irischen Bischof namens Shamus O’Toole, dessen dichter roter Haarschopf einen schrillen Kontrast zu seiner Kleidung abgab. Ryan stieg als erster aus dem Wagen, und es schoß ihm die Frage durch den Kopf: Muß ich nun O’Tooles Ring küssen? Er wußte es nicht; einen richtigen Bischof hatte er seit seiner Kommunion nicht mehr gesehen. O’Toole löste dieses Problem geschickt und drückte Ryan herzhaft die Hand.
»Überall auf der Welt begegnet man Iren«, sagte er und grinste breit.
»Irgend jemand muß ja für Ordnung sorgen.«
»Wohl wahr!« Nun begrüßte der Bischof Adler, der, da er Jude war, nicht im Traum daran dachte, jemandes Ring zu küssen. »Kommen Sie mit, meine Herren!«
O’Toole führte sie in ein Gebäude, dessen Geschichte ein dreibändiges gelehrtes Werk und dessen Kunst und Architektur einen Bildband gerechtfertigt hätten. Die geschickt in die Türrahmen integrierten Metalldetektoren im zweiten Stock waren nur für Experten, wie Jack einer war, zu bemerken. Wie im Weißen Haus, dachte er. Nicht alle Männer der Schweizergarde waren in Uniform. Einige Leute, die in Zivil durch die Korridore streiften, wirkten zu jung und zu fit, um Bürokraten zu sein. Ryan hatte dennoch den Eindruck, sich in einem Zwischending aus Museum und Kloster zu befinden. Die Priester trugen Soutanen, und die ebenfalls zahlreich anwesenden Nonnen gingen in Tracht und nicht, wie ihre amerikanischen Schwestern, in Halbzivil. Ryan und Adler wurden kurz in einem Wartezimmer alleine gelassen – nicht, um ihnen Unannehmlichkeiten zu bereiten, sondern um ihnen Gelegenheit zu geben, das Ambiente zu genießen. Ryan betrachtete bewundernd eine Madonna von Tizian, während Bischof O’Toole die Besucher anmeldete.
»Erstaunlich. Hat der Mann jemals ein kleines Bild gemalt?« murmelte Ryan.
Adler lachte leise. »Auf jeden Fall verstand er es, eine Miene, einen Blick und einen Moment festzuhalten. Ah, es ist soweit.«
»Gut«, sagte Ryan, der sich erstaunlich zuversichtlich fühlte.
»Gentlemen!« rief O’Toole von der offenen Tür her. »Hier entlang, bitte.« Sie gingen durch ein zweites Vorzimmer mit zwei unbesetzten Schreibtischen auf eine riesige, über vier Meter hohe Doppeltür zu.
Giovanni Kardinal D’Antonios Arbeitszimmer wäre in Amerika für Bälle oder Staatsbankette benutzt worden. Die Decke zierten Fresken, die Wände waren mit blauer Seide bespannt, und die Teppiche auf dem uralten Parkett hatten die Größe eines mittelgroßen Wohnzimmers. Das Mobiliar, die vermutlich neuesten Objekte im Raum, schien mindestens zweihundert Jahre alt zu sein: Die Polstermöbel waren mit Brokat bezogen und hatten geschwungene, blattgoldbelegte Beine. Das silberne Kaffeeservice war ein dezenter Hinweis, wo Ryan sich hinzusetzen hatte.
Der Kardinal kam mit dem Lächeln, das vor Jahrhunderten ein König einem favorisierten Minister geschenkt haben mochte, von seinem Schreibtisch auf sie zu. D’Antonio war ein kleiner Mann, der, seiner Leibesfülle nach zu urteilen, gerne gut aß. Tabakgeruch verriet eine Angewohnheit, die er mit seinen knapp siebzig Jahren eigentlich schon aufgegeben haben sollte. Sein rundliches Gesicht strahlte eine derbe Würde aus. D’Antonio war der Sohn eines sizilianischen Fischers, und der verschmitzte Blick seiner braunen Augen ließ auf einen etwas rauhen Charakter schließen, den seine fünfzig Jahre im Dienst der Kirche nicht hatten überdecken können. Ryan wußte von seiner Herkunft und konnte sich leicht vorstellen, wie er früher zusammen mit
Weitere Kostenlose Bücher