Das Echo aller Furcht
Der alte Mann mochte nicht viel besitzen, aber seinen Stolz ließ er sich nicht nehmen.
»Der Garten sieht dieses Jahr gut aus.«
»Ja, es hat ordentlich geregnet«, stimmte der Bauer zu. »Es gibt heuer auch viele Lämmer. Kein schlechtes Jahr. Wie sieht es bei dir aus?«
»Mein bestes Jahr bisher. Vater, ich wollte, du müßtest dich nicht so schinden.«
»Ach was!« Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich kenne doch nichts anderes. Und hier gehöre ich hin.«
Was hat der Mann doch für einen Mut, dachte der Sohn. Der Alte gab in der Tat nicht auf. Er hatte seinem Sohn nicht viel geben können, ihm aber seinen stoischen Mut vererbt. Als er auf dem Golan zwanzig Meter von den rauchenden Trümmern seines Schützenpanzers entfernt gelegen hatte, ein Auge zerstört und eine Hand so zerfetzt, daß sie später abgenommen werden mußte, hätte der Sohn einfach aufgeben und sterben können. Aber er dachte an seinen Vater, für den es kein Aufgeben gab, stand auf, nahm sein Gewehr und lief sechs Kilometer weit zum Verwundeten-Sammelpunkt seines Bataillons, wo er erst Meldung erstattete, ehe er sich versorgen ließ. Dafür bekam er eine Auszeichnung und von seinem Bataillonskommandeur Geld für den Start ins Zivilleben. Der Offizier gab der örtlichen Verwaltung auch zu verstehen, daß sein Mann mit Respekt zu behandeln sei. Von seinem Obersten hatte der Sohn Geld bekommen, von seinem Vater aber die Courage. Nun bedauerte er, daß der Alte sich nicht ein wenig unter die Arme greifen ließ.
»Mein Sohn, ich brauche deinen Rat.«
Das war neu. »Gerne, Vater.«
»Komm, ich will dir etwas zeigen.« Er ging voran in den Garten zu den Karottenbeeten, schob mit der Fußspitze Erde beiseite ...
»Halt!« schrie der Sohn, packte seinen Vater beim Arm und zog ihn zurück. »Um Himmels willen, seit wann liegt das da?«
»Seit dem Tag, an dem du verwundet wurdest«, gab der Bauer zurück.
Der Sohn faßte an seine Augenklappe und erinnerte sich einen schrecklichen Augenblick lang an den grausigen Tag. Er hatte einen grellen Blitz gesehen, war durch die Luft geflogen und hatte die Todesschreie seiner verbrennenden Kameraden hören müssen. Das hatten die Israelis getan. Eine israelische Kanone hatte seine Mutter getötet. Und nun – dies?
Was war das? Er befahl seinem Vater, sich nicht vom Fleck zu rühren, und ging so vorsichtig, als durchquere er ein Minenfeld, an das Objekt heran. Er war bei den Pionieren gewesen; seine Einheit hatte zwar einen Kampfauftrag bei der Infanterie erhalten, im Grunde aber die Funktion der Minenleger gehabt. Das große Objekt sah aus wie eine israelische Tausend-Kilo-Bombe; ihre Herkunft erkannte er an der Farbe. Nun drehte er sich zu seinem Vater um.
»Und das liegt schon seit damals da?«
»Ja. Das Ding warf einen Krater auf, den ich zuschüttete. Der Frost muß es nach oben gebracht haben. Ist es gefährlich? Muß doch ein Blindgänger sein.«
»Vater, diese Bomben bleiben gefährlich, sehr sogar. Wenn diese hier losgeht, sprengt sie dich und dein ganzes Haus in die Luft!«
Der Bauer machte eine verächtliche Geste. »Warum ist das dumme Ding dann nicht gleich explodiert?«
»Unsinn! Höre jetzt auf mich: Halte dich von diesem Teufelsding fern!«
»Und was wird aus meinem Garten?« fragte der Bauer schlicht.
»Ich werde dafür sorgen, daß die Bombe geräumt wird. Erst dann kannst du wieder gärtnern.« Der Sohn dachte nach. Räumen war ein Problem, und kein geringes. Die syrische Armee hatte nur wenige Bombenexperten und detonierte Blindgänger am liebsten an Ort und Stelle; generell eine sehr vernünftige Methode, in diesem speziellen Fall aber nicht, denn sein Vater würde die Zerstörung seines Hauses nicht lange überleben. Seine Frau würde ihn nur ungern bei sich aufnehmen, und er selbst konnte seinem Vater als Einhändiger wohl kaum beim Wiederaufbau helfen. Die Bombe mußte also entfernt werden, aber von wem?
»Du mußt mir versprechen, den Garten nicht zu betreten«, verkündete der Sohn streng.
»Wie du meinst«, erwiderte der Bauer, der nicht daran dachte, die Befehle seines Sohnes zu befolgen. »Wann läßt du das Ding abholen?«
»Das kann ich noch nicht sagen. Ich muß mich erst einmal ein paar Tage lang umhören.«
Der Bauer nickte und überlegte, den Rat seines Sohnes doch zu befolgen und sich wenigstens von dem Blindgänger fernzuhalten. Daß die Bombe nicht mehr funktionierte, stand für ihn fest. Er kannte sein Schicksal. Wenn er durch die Bombe hätte
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