Das Echo der Flüsterer
uns eine Last bist, Jonas!«
Ehe Jonas etwas erwidern konnte, erfüllte ein Rauschen die Luft. Einen Herzschlag später landete Kraark vor dem Sattel seines Freundes.
»Er ist weg!«, rief er aufgeregt.
»Was… wer ist weg?«
»Goldan! Er befindet sich nicht mehr auf der Säule.«
»Er wird doch nicht…?«
»Was glaubst du, warum ich erst jetzt komme. Ich bin bis zum Grund der Schlucht geflogen – und da ging es ohne Übertreibung ziemlich weit hinunter! –, aber von Goldan fehlt jede Spur.«
»Er kann sich doch nicht einfach in Luft aufgelöst haben!«
»Ihr sprecht vom Wächter, nicht wahr?«
Jonas blickte Darina verwirrt an. Als er den fragenden Ausdruck in ihrem Gesicht sah, fiel ihm ein, dass sie ja den Raben nicht verstehen konnte. Er nickte. »Kraark hat sogar am Fuß des Brückenpfeilers nach ihm gesucht, aber Goldan ist spurlos verschwunden.«
Darina nickte verstehend, aber erwiderte nichts.
Jonas erinnerte sich, was Darina über den Raben gesagt hatte. »Du glaubst ihm doch, oder?«
»Tust du es etwa nicht?«
»Natürlich!«
»Das ist gut.« Wieder das wissende Nicken.
Jonas holte tief Atem. Er war ganz durcheinander. »Kann es sein, dass dieser Kanthelm zurückgekehrt ist und Goldan mitgenommen hat?«
»Bergalf berichtete mir heute Morgen, er habe gestern noch mehrere Mal in seinen Bilm geschaut, aber Kanthelms Leuchtpunkt hat sich immer weiter entfernt, bis er schließlich ganz aus dem Horizont des Sinnsteines verschwunden ist.«
»Und wenn Kanthelm nicht allein gekommen ist?«
»Das wäre durchaus möglich. Bergalf kann in seinem Stein nur die Kristallkinder sehen, nicht aber gewöhnliche Lebewesen.«
»Werden sie…? Ich meine…«
»Ob sie Goldan etwas antun würden? Wenn ich Kanthelm richtig einschätze, wird er befürchten, dass die jahrtausendelange Trennung von Bonkas und Malkits nunmehr durch unsere – und übrigens auch seine – Durchquerung der Spiegelregion aufgehoben ist. Da sein Herz kriegerisch gesinnt ist, wird er die Möglichkeit eines Angriffs von unserer Seite nicht ausschließen. Eine Geisel wie Goldan könnte ihm da sehr nützlich sein.«
»Ich hoffe für Goldan, dass dieser Kanthelm ein nicht ganz so großer Schurke ist, wie du ihn darstellst.«
Darina antwortete auf diese Äußerung von Jonas nicht, vielleicht wollte sie ihn nicht weiter beunruhigen. Mit einem aufmunternden Lächeln entschwand sie zur Spitze der Karawane, um Mangaar die neuesten Nachrichten zu übermitteln.
Inzwischen hatte die Suchmannschaft beinahe den Abstieg bewältigt. Vor Jonas erstreckte sich ein sehr breites, ungefähr eine Meile tiefes Tal. Dahinter erhoben sich weitere Berge. Sie waren jedoch nicht mehr so hoch wie diejenigen, von denen die Karawane gerade herabkam. Je näher das Tal heranrückte, umso deutlicher wurde für Jonas, was diesen Ort vor allen anderen auf Azon auszeichnete.
Aus der Ferne hatte die Tiefebene wie ein riesiger glitzernder Salzsee ausgesehen, doch jetzt waren deutlich die Millionen von Kristallen zu sehen, die dort unten den gesamten Boden bedeckten. Im Vergleich zur Spiegelregion bot sich hier ein völlig anderes Bild. Dort hatten die blauen Kristalle weit auseinander gelegen, doch das, was sich zu Jonas’ Füßen ausbreitete, war ein dichter Wald aus aufrecht stehenden weißen Kristallplatten. Die am nächsten befindlichen Tafeln wirkten so klar wie Glas. Folgten dagegen viele solcher Kristallflächen unmittelbar aufeinander, konnte der Blick sie nicht mehr durchdringen, die Platten erschienen dann undurchsichtig und weiß.
Darina schlug vor, am Rande des Kristallgartens eine Rast einzulegen. Selbst sie kenne den Weg durch das Labyrinth nicht genau. Daher sei es wichtig, dass alle sich erfrischten und ausruhten, bevor man sich in dieses gefährliche Gebiet wage. An Jonas gewandt bat sie: »Sei bitte so lieb und frage deinen Raben, ob er über dem Labyrinth aufsteigen und nach einem Weg auf die andere Seite hinüber Ausschau halten kann.«
»Alle dürfen sich ausruhen, nur ich nicht«, beschwerte sich Kraark, bevor Jonas überhaupt den Mund öffnen konnte.
»Was hat er gesagt?«, erkundigte sich Darina bei Jonas.
»Frei übersetzt, dass er nichts lieber täte, als noch ein bisschen herumzufliegen.«
»Lügner!«, krächzte Kraark, schwang sich aber in die Luft.
»Das klang wenig begeistert«, meinte Darina.
»Ich kann sehr gut nachempfinden, was in Kraark vorgeht. Eigentlich tut er nichts lieber, als für uns die Gegend auszuspähen. Er mag es
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