Das Echo der Flüsterer
nur nicht, wenn man einfach über seinen Kopf hinweg entscheidet.«
Darina nickte und lachte mit einem Mal. Wenn sie dem Raben noch immer misstraute, dann ließ sie es sich jedenfalls nicht anmerken. »Sogar für mich ist es nicht leicht, einem Vogel so viel Selbstbewusstsein zuzugestehen«, sagte sie fröhlich. »Aber im Grunde denkt und handelt er genauso wie wir. Der eigene freie Wille ist für jedes vernunftbegabte Lebewesen eine kostbare Gabe, die niemand antasten sollte. Ich werde Kraark in Zukunft selbst fragen, wenn ich etwas von ihm will.«
Ximon kam heran und teilte an Jonas und Darina etwas Brot und Käse aus.
Während alle auf Kraarks Rückkehr warteten, kauten sie eher lustlos an dem kalten Imbiss herum. Jonas’ Gedanken waren seinen Füßen schon vorausgeeilt und irrten bereits im Labyrinth herum. Jeder Bissen blieb ihm im Halse stecken und musste mit Wasser hinuntergespült werden. In seiner Phantasie stolperte er in dem glitzernden Kristallgarten herum, zunächst Stunden, dann ganze Tage, bis er schließlich ausgemergelt an irgendeiner Wand zusammenbrach. Vielleicht käme in hundert Jahren wieder ein Wanderer an diesen Ort und würde sein Skelett entdecken, angelehnt an einer stabilen durchsichtigen Kristallplatte.
Als Bergalfs Ruf erschallte, zuckte Jonas zusammen.
»Der Rabe kommt zurück!«
Jonas legte den Kopf in den Nacken. Obwohl es am Himmel keine Sonne gab, musste er jetzt, um die Mittagszeit, die Augen mit der Hand beschirmen, um den rasch näher kommenden schwarzen Punkt verfolgen zu können. Fasziniert beobachtete er den kraftvollen Flug des Raben, der wie ein schwarzer Blitz heranschoss. Über dem Lager zog er noch einen weiten Kreis und flog sogar aus reinem Übermut ein kurzes Stück auf dem Rücken. Dann kam er direkt auf Jonas zu und landete auf dessen Arm.
»Ich fürchte, hier kann ich euch nicht helfen«, begann Kraark ohne Umschweife.
In Windeseile hatten sich alle Gefährten um Jonas versammelt. »Wie meinst du das? Ist das Labyrinth so unübersichtlich oder…« Ihm fiel sonst keine andere Möglichkeit ein.
»Das kann ich nicht sagen. Aus der Luft ist nur ein Meer aus glitzernden Flächen zu erkennen. Das Labyrinth versteckt sich unter einer Wolke von Spiegelungen. Die einzelnen Gänge auszumachen ist einfach unmöglich.«
»Selbst wenn du ganz dicht darüber hinwegfliegst?«
»Ich habe es versucht, aber der Kristallgarten gibt sein Geheimnis nicht preis«, erwiderte der Rabe und der Junge übersetzte seinen Bericht.
»Das Labyrinth ist also auch für den ein Rätsel, der es aus der Luft ergründen will«, meinte Darina leichthin.
Jonas legte die Stirn in Falten. »Wenn du mich nicht selbst darum gebeten hättest, Kraark auszusenden, dann würde ich sagen, du hast von Anfang an gewusst, dass dieser Erkundungsflug uns nicht weiterbringt.«
»Nein.« Darina lächelte. »Ich hatte nur ein vages Gefühl. Wie dir bekannt ist, zeigt mir mein Gedächtnis nur ein verschwommenes Bild vom Zwieland. Ich musste mir deshalb Gewissheit verschaffen.«
»Na, die haben wir ja nun«, versetzte Bergalf.
»Heißt das, wir können nur probieren, wie wir da rüberkommen?« Jonas deutete zur anderen Seite des Tals.
Darina schüttelte den Kopf und entrang sich ein Lächeln. »Euch die Erinnerungen, die der Kristall in meinen Geist gepflanzt hat, zu beschreiben wäre so, als wolle man einem Blindgeborenen Farben erklären. Ich weiß, dass es einen Weg durch diesen Garten gibt, und ich habe auch ein undeutliches Bild von diesem Pfad. Es wird mich sehr viel Kraft kosten, dieses Gedankenbild aus den verschwommenen Erinnerungen zu heben. Ich hatte mir erhofft, der Rabe könne mir diese Mühsal ersparen und für uns alle kostbare Zeit gewinnen. Aber wir werden es auch so schaffen. Lasst mich einfach voranreiten und vertraut mir.«
»Wünschte, wir hätten unsere Wild Goose hier«, knurrte Sam Chalk. »In ein paar Sekunden wären wir über dieses Tal hinweg.«
»Bist du dir sicher, dass dein Flugzeug hier überhaupt fliegen könnte?«, brummte Lischka.
Die beiden sahen sich einen Moment lang schweigend an. Dann wich der Pilot dem Blick des Flüsterers aus und murmelte etwas, was niemand richtig verstand.
Nachdem sich Bergalf vergewissert hatte, dass alle Tiere fest durch Riemen miteinander verbunden waren, setzte sich die Karawane in Bewegung. Darina übernahm mit Mangaar die Führung. Bergalf bildete wie gewohnt die Nachhut.
Erst aus der Nähe ging Jonas die wahre Größe des
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