Das Echo der Flüsterer
»Warum nur werde ich den Eindruck nicht los, dass die Kubaner ein bloßer Spielball der großen Mächte sind?«
Lischka nickte. »Wie mir Tamakh erzählte, empfinden sie sogar Dankbarkeit gegenüber dem großen Bruder, der sie derart hofiert. Als Che Guevara und Emilio Aragones Navarro vor gut fünf Wochen in Moskau waren, verlangten sie von Nikita Chruschtschow die öffentliche Bekanntmachung der gemeinsamen Raketenpläne. Tamakhs Flüsterer hatten damals ihre Finger im Spiel, weil wir glaubten, die Menschen durch die Offenlegung aller Pläne von unüberlegten Handlungen abhalten zu können. Aber Chruschtschow wollte sein kleines Geheimnis nicht preisgeben. Er lehnte die Forderung der beiden Kubaner ab. Bis heute hat der sowjetische Ministerpräsident nicht einmal das Abkommen über die Errichtung der Raketenstellungen unterzeichnet und ich bezweifle sehr, ob er es überhaupt je tun wird.«
»Ich denke, die Sache ist ihm so wichtig. Warum steht er dann nicht dazu?«
Lischka zuckte mit den Schultern. »Vielleicht, damit die Moskitos nichts durchsickern lassen können, oder weil er einfach selbst alle Trümpfe in der Hand behalten möchte. Ich neige zu der letzteren Erklärung.«
»Und sonst konntet ihr gar nichts tun, um Chruschtschow seine Idee wieder auszureden… ich meine, aus zuflüstern?«, erkundigte sich Sam.
»Nicht viel«, gab Lischka zu. »Chruschtschow und Kennedy hören nicht auf die Flüsterer. Und in ihrer Nähe gibt es auch sonst wenige, die das tun. Einmal konnte ich Oleg Trojanowski dazu bewegen, Chruschtschow ins Gewissen zu reden. Ich hatte mir wirklich einiges davon versprochen, weil der Ministerpräsident ein glühender Verehrer von Lenins Ideen ist. Olegs Vater gehörte zu den frühen Weggenossen Lenins, was dem Sohn in Chruschtschows Augen einen besonderen Nimbus verleiht. Nikita Sergejewitsch kann sehr stur sein, aber für seinen jungen außenpolitischen Berater hat er normalerweise immer ein offenes Ohr. Die günstige Gelegenheit ergab sich erst vor wenigen Tagen.
Chruschtschow und Trojanowski saßen allein im Arbeitszimmer des Kremlchefs zusammen. Ich streute mit meinem Flüstern Zweifel in Trojanowskis Gedanken. Der Vertraute Chruschtschows reagierte auf meinen Rat und sagte unvermittelt, das kubanische Unternehmen sei viel zu gefährlich. Ganz anders als von mir erwartet antwortete Nikita Sergejewitsch darauf brüsk: ›Es ist zu spät, um etwas zu ändern.‹ Nicht nur ich, auch Trojanowski war von dieser Reaktion sehr überrascht. Obwohl er sich äußerlich nichts anmerken ließ, konnte ich in diesem Augenblick fühlen, was in ihm vorging. Einige Tage darauf sagte er über seinen Chef während einer Unterhaltung mit einem Freund: ›Er verliert die Kontrolle über das Steuer und tritt immer weiter aufs Gas, um ins Ungewisse davonzubrausen.‹«
Jonas nickte mit glasigen Augen. »Das scheint mir die augenblickliche Situation leider sehr gut zu beschreiben.«
Darina legte ihre Hand auf Jonas’ Unterarm. »Was Lischka und Ximon dir eben erzählt haben, war Goldan als Mitglied des Kristallrats natürlich bekannt. Verstehst du jetzt, weshalb er uns so zur Eile drängte?«
Jonas nickte noch einmal. »Es fällt mir trotzdem schwer, mich damit abzufinden.«
»Keinem von uns ist es leicht gefallen, den Wächter der Farbenstadt zurückzulassen. Glaube mir, wenn wir nur die kleinste Chance haben zurückzukehren und Goldan zu retten, dann werden wir es tun.«
Jonas erwachte, als ringsherum schon reges Treiben herrschte und das trübe Licht des Tages längst zurückgekehrt war. Er hatte lange und fest geschlafen, kein Wunder nach all den Strapazen, die er in den vergangenen drei Tagen erlebt hatte. Am liebsten wäre er noch eine Weile in seinem Schlafsack liegen geblieben. Wie weich er war und wie gut er die Kälte der Nacht abgehalten hatte! Erstaunlich, was dieses Kleine Volk alles zu Wege brachte, obwohl es so einfach zu leben schien wie die Menschen vor fünfhundert Jahren.
»Schon enorm, dass du tatsächlich von allein wach geworden bist!«
Jonas drehte im Liegen den Kopf nach hinten und blickte in Kraarks schwarze Knopfaugen. »Musst du dich eigentlich immer so anschleichen?«
»Was heißt hier schleichen? Eine Armee könnte über dir hinwegmarschieren und du würdest es nicht einmal bemerken.«
»Jetzt übertreibst du aber, Kraark!«
»Sieh dich doch um. Findest du etwa, dass deine Kameraden besonders leise sind?«
Jonas ließ den Blick durch das Lager schweifen. Kraark
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