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Das Echo der Flüsterer

Titel: Das Echo der Flüsterer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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hatte Recht. Es ging wirklich nicht gerade ruhig zu. Ximon hantierte mit einer Bratpfanne und einer eisernen Teekanne. Bergalf und Mangaar waren damit beschäftigt, die Packtiere für den Weitermarsch fertig zu machen, und Lischka, Sam und Darina standen etwas abseits und unterhielten sich in ganz normaler Lautstärke.
    »Kraaaark?« Jonas dehnte den Namen wie ein Gummiband.
    »Diesen Ton kenne ich von Syrda.«
    »Könntest du mir einen Gefallen tun?«
    »Dachte ich mir.«
    »Alter Besserwisser. Machst du’s also?«
    »Vorher hätte ich schon gerne gewusst, um was es geht.«
    »Wie schön, dass dein Wissen auch noch Grenzen kennt… Entschuldige, war nicht so gemeint. Könntest du noch einmal zur Schlucht zurückfliegen und nach Goldan sehen? Vielleicht braucht er irgendetwas. Du bist zwar nur ein Rabe…«
    »Nur ein Rabe?«, unterbrach Kraark ihn empört. »Einen Raben hat Gott gesandt, um den hungernden Propheten Elia mit Speise zu versorgen! Selbst Shakespeare hat in seinem Wintermärchen verlassenen Kindern durch Raben Nahrung bringen lassen. Und Noah…«
    »Schon gut, schon gut«, fiel Jonas dem erregten Vogel ins Wort. »Ich wollte deine Fähigkeiten keineswegs herabsetzen. Würdest du also für mich losfliegen?«
    »Kükenspiel. Für dich und Goldan. Solltet ihr zum Aufbruch bereit sein, bevor ich zurück bin, dann wartet nicht auf mich. Ich werde euch schnell eingeholt haben.«
    »Geht in Ordnung.« Jonas hörte das Schlagen von Kraarks Flügeln. Bald war der Rabe nur noch ein schwarzer Punkt, der hinter den Bergen verschwand.
    Darina kam heran und begrüßte ihren Retter. »Wohin ist der Rabe geflogen?«
    Jonas sagte es ihr.
    Sie nickte nachdenklich. »Wusstest du, dass der Vogel ein Wanderer ist?«
    »Kraark erzählte es mir. Weshalb fragst du?«
    »Ich kann mir kein rechtes Bild von ihm machen. Er ist für mich nur die Summe dessen, was ich sehe.«
    Jonas zog nachdenklich die Augenbrauen zusammen. »Willst du damit sagen, du traust Kraark nicht?«
    »Nein. Ich mache mir bloß meine Gedanken. Als wir aus der Spiegelregion mit knapper Not entkommen waren – noch alle verwirrt, manche sogar kopflos –, flog der Rabe zielstrebig davon, um uns gleich darauf zur Brücke zu führen.«
    »Es gab ja nur zwei Richtungen, die er hätte nehmen können.«
    »Hast du schon die Gestalt der Brücke vergessen? Wir befanden uns an einem Ort Azons, an dem die Welt stark gefaltet ist. Kraark hätte in jede Richtung fliegen können, ohne so bald zurückzukehren. Aber er fand genau den richtigen Weg. Den, der uns das Leben hätte kosten können.«
    »Darina!« Jonas war entsetzt über ihre Worte. »Wenn ich irgendein Talent habe, dann das, andere Lebewesen richtig einzuschätzen. Kraark mag zwar ein wenig verschroben sein, aber er ist kein Verräter.«
    Darina lächelte mitfühlend. »Das wollte ich auch nicht sagen. Aber ich trage eine große Verantwortung und darf nichts außer Acht lassen, was nur irgendwie unser Vorhaben gefährden könnte. Ich wollte dich nur wissen lassen, was ich in Bezug auf den Raben fühle.«
    Jonas’ Antwort klang förmlich, beinahe kühl. »Das ist sehr freundlich von dir. Dann wissen wir ja jetzt beide voneinander, wie wir über Kraark denken.«
    Ein Ausdruck des Bedauerns legte sich auf Darinas Gesicht und sie wechselte das heikle Thema. Die Wissende fasste für Jonas kurz zusammen, was sie schon den anderen Gefährten erzählt hatte. In ihrer Erinnerung sah sie zwischen dem Gebirge, in dem sie sich gerade befanden, und Keldins Felsenburg ein Gebiet, wie es auf ganz Azon einmalig war. Es handelte sich um einen Kristallgarten, ein großes Labyrinth, in dem tausende von spiegelnden Steintafeln standen. Es sei von beträchtlicher Wichtigkeit, dass Reiter und Packtiere in diesem Garten dicht beieinander blieben.
    Jonas musste unwillkürlich an den Jahrmarkt denken, den er einmal mit seinem Großvater besucht hatte. Dort war er mindestens eine halbe Stunde lang durch ein gläsernes Labyrinth gelaufen, ohne einen Weg ins Freie zu finden. Mehrmals hatte er sich an den Glaswänden den Kopf gestoßen und sich mindestens genauso oft erschrocken, als er wieder und wieder einem Fremden gegenübertrat, der er am Ende jedes Mal selbst war.
    »Das Beste wird sein, wir binden unsere Tiere wieder zusammen«, meinte er missmutig.
    »Genau das hat Bergalf auch schon vorgeschlagen«, antwortete Darina.
    Jonas’ Kiefer mahlten aufeinander. Konnte er denn gar nichts denken, sagen oder tun, was nicht Darina schon

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