Das Echo der Flüsterer
nur auf eine Weise, die Jonas seit langem von Hunden her vertraut war: durch die Körperhaltung, Duftmarken, verschiedene Laute… Ob sie zu mehr imstande waren, konnte er nicht beurteilen. Er kannte das Rudel erst viel zu kurz, um sein Verhalten völlig begreifen zu können.
»Wann werden wir sie treffen?«, erkundigte er sich bei dem Leitwolf.
»Nach deiner Zeit in ungefähr einer Stunde.«
Minuq kannte sich gut mit der menschlichen Zeiteinteilung aus. Genau nach einer Stunde kam Darinas weißer Hirsch in Sicht. Das makellose Fell des kraftvollen Tieres leuchtete zwischen einer Gruppe von Eiben, noch ehe die niedrigeren Schelpins von Bergalf und Mangaar zu sehen waren. Erstaunlicherweise zeigte Darinas Hirsch nicht das geringste Anzeichen von Furcht, als er sich unvermittelt von Wölfen umringt sah.
Jonas sprang von Trojans Rücken, um Darina von ihrem Hirsch zu helfen. Sein Herz sprang vor Freude. Erst jetzt wurde er sich bewusst, wie sehr er das blonde Mädchen vermisst hatte.
»Jonas, mein Retter«, begrüßte Darina ihn lächelnd. »Ich habe mir große Sorgen um dich gemacht.«
»Wirklich?«
»Bist du Kanthelm begegnet?«
»Ja, leider.«
»Aber du lebst doch! Was gibt es da zu bedauern?«
Jonas wich Darinas forschendem Blick aus. »Keldins Spiegel… Ich habe ihn verloren.«
Ein Schatten legte sich auf Darinas Gesicht. Jonas’ Antwort hatte sich wie eine Selbstanklage angehört. Sie ergriff seine Hand und sagte sanft: »Komm! Wir wollen hier ein Lager aufschlagen und dann erzählst du Bergalf, Mangaar und mir deine Geschichte.«
Geradeso wurde es gemacht. Jonas gab sich große Mühe nichts auszulassen. Als er den Kristalldolch erwähnte und ihn dann auch noch unter seiner Jacke hervorzauberte, trat ein ehrfürchtiger Ausdruck in die Augen seiner Freunde. Jonas wollte das blau glitzernde Stilett nicht für sich behalten.
Doch als er versuchte es an Darina auszuhändigen, beharrte diese: »Du musst Keldins Dolch unbedingt behalten, Jonas! Könnten die Wissenden in die Zukunft sehen, dann hätte ich eine Erklärung für meine Überzeugung. Doch es ist kein Zufall, dass du ihn gefunden hast. Steck ihn wieder ein und gib gut darauf Acht.«
»Warte, ich habe hier etwas für dich«, sagte Bergalf und kramte aus seiner Satteltasche einen alten Lappen hervor. »Hier, das wird dich vor der Schärfe der Klinge schützen, bis wir etwas Besseres gefunden haben.«
Jonas wickelte den Dolch in das weiche und dennoch feste Tuch ein und steckte ihn in den Gürtel zurück. Dann setzte er seinen Bericht fort. Nachdem er mit der von den Bonkas erwarteten Ausführlichkeit sämtliche Erlebnisse dargelegt hatte, schwiegen die Anwesenden für eine lange Zeit.
Unversehens griff Bergalf mit der Hand in den Ausschnitt seiner dunkelgrünen Tunika. Als er die Kette mit dem Bilm hervorzog, starrten alle den Fährtensucher erstaunt an. Die violette Farbe war fast völlig aus Bergalfs Sinnstein verschwunden. Er strahlte in einem besonderen Licht, das dem ersten Gelb der Morgensonne ähnelte. Ganz deutlich war zu erkennen, wie der Glanz gleich einem phosphoreszierenden Nebel vom unteren Rand des Bilms ausstrahlte und zum oberen hin schwächer wurde. Nur in der Mitte stach ein einzelner hellgelber Punkt hervor.
»Was ist das?«, fragte Mangaar bestürzt.
»Ich weiß es auch nicht. Der Stein wurde plötzlich so warm«, antwortete Bergalf. In seinem Gesicht spiegelten sich dunkle Ahnungen.
»Könnte das…« Jonas zögerte.
»Kanthelm?«, fragte Darina. Sie schüttelte den Kopf. »Ich erinnere mich noch gut an das Glühen auf Bergalfs Bilm, das von Kanthelms Gegenwart in der Schlucht herrührte. Es gleicht dem meinen, hier, im Zentrum des Sinnsteines. Aber das, was da von unten her in den Stein kriecht, muss unvorstellbar groß sein.«
»Aber was ist es?«
Darinas makelloses Gesicht wirkte wie versteinert. »Ich wünschte, ich könnte es genau benennen. Hoffentlich trügt mich mein Gefühl.«
»Welches Gefühl denn?« Jonas wurde ganz kribbelig, weil Darina nicht mit ihrem Verdacht herausrücken wollte.
»Vielleicht hat das Zerbrechen von Keldins Spiegel etwas aufgeweckt.«
Jonas sah die Wissende sprachlos an. Er erinnerte sich an die alte Sage der Wölfe. Als sein Blick zu Talinka und Minuq wanderte, sahen sie ihn nur aus gelben Augen an, ohne jede Regung. Warum wollte ihm niemand sagen, was sich da tief in Keldins Klippe regte? Je länger er darüber nachgrübelte, desto stärker fühlte er sich für dieses namenlose
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