Das Echo der Flüsterer
werde dir gerne helfen, wenn es mir möglich ist. Aber willst du mir nicht zuerst deinen Namen nennen?«
»Oh, entschuldige. Ich heiße Jonas, Jonas McKenelley.«
»Warum hast du gesagt, du würdest uns helfen, wenn es dir möglich ist?«, hakte Darina bei Numin nach. »Für dich als einen Sohn des Oberältesten von Kalvar sollte es doch nicht schwer sein, die Weisen zu sprechen.«
Numins Gesicht verdunkelte sich. »Vor elf Tagen ist etwas Schreckliches passiert. Wir wissen nicht, was, aber seit dieser Zeit haben Robin und Saphirah niemanden mehr empfangen. Mein Vater hat versucht mit ihnen zu sprechen, aber die Unterhaltung war schon beendet, bevor sie richtig begonnen hatte. Er berichtete von einer tiefen Trauer, die den Sinn der beiden umwölkt und die zu durchdringen ihm einfach nicht möglich war.«
»Aber haben sie denn gar nichts gesagt?«
Numin sah Darina hilflos an. »Doch, schon. Irgendetwas wie: ›Er ist nicht mehr da.‹ Alles hätte keinen Sinn mehr. Mein Vater ist aus ihrem Gerede nicht schlau geworden. Sie haben ihn an der Tür abgewiesen – freundlich, aber bestimmt – und sind seitdem von niemandem mehr gesehen worden.«
Darina drehte sich zu Jonas um. »Vielleicht können wir sie aus ihrer Trauer reißen. Was meinst du?«
Es war seltsam, wie Darina dies sagte. Jonas zuckte mit den Schultern und erwiderte: »Ich hoffe es. Sie sollen ja Wanderer sein wie Sam und ich. Unsere Anwesenheit könnte sie schon aufmuntern.«
Numin führte die Fremden auf eine Straße, die vor den ersten Häusern Kalvars links abzweigte und dann der Stadtgrenze folgte. Unterwegs erzählte er von den zwei Weisen. Sie wohnten in einem Haus außerhalb von Kalvar auf einem kleinen Hügel, dem einzigen im ganzen Tal. Die beiden hatten schon immer sehr zurückgezogen gelebt. Als die Bewohner Kalvars – Numin nannte sie die »Regenbogenstadt« – die Weisen vor einem Dutzend Jahren gebeten hatten zu ihnen zu kommen, hatten diese eine Bedingung gestellt: Sie verlangten, dass man ihnen einen Ort zur Verfügung stellte, an den sie sich jederzeit zurückziehen konnten. Deshalb hatten die Kalvarer ihnen das Haus auf der Anhöhe gebaut.
Bald konnte Jonas »das Haus« erkennen. Es glich eher einem kleinen Palast. Das ganze quadratische Gebäude bestand aus nachtblauem Lapislazuli. Es besaß zwar nur ein Obergeschoss, aber die Seitenlänge des schimmernden Vierecks ließ auf mindestens dreißig Zimmer schließen.
Numin lenkte seinen Vogel auf einen gewundenen Pfad, der am Fuße des Hügels begann und vor der Haustür der zwei Weisen endete. Erstaunt stellte Jonas fest, dass der Weg nicht mit normalem Kies, sondern mit den unterschiedlichsten Halbedelsteinen bestreut war. Im Nachmittagslicht glitzerten die polierten Kleinode in allen Farben.
Dann standen sie endlich vor dem Haus. Millionen kleiner Goldpünktchen schimmerten in dem dunkelblauen Lapislazuli und verliehen dem ganzen Gebäude einen zauberhaften Glanz. Numin stieg die drei Stufen der breiten Treppe zum Eingang empor und klopfte an die schwere Holztür.
Nichts geschah.
Numin klopfte noch einmal.
Wieder nichts.
Er blickte sich zu den Wartenden um und lächelte ratlos. Jonas und die Gefährten waren von ihren Tieren gestiegen und sahen Numin erwartungsvoll an.
»Vielleicht ist die Tür ja offen«, meinte Sam Chalk.
Numin schaute den Piloten an, als hätte der gerade einen ziemlich dummen Witz gemacht, aber dann schob er trotzdem den außen angebrachten Riegel beiseite. Die Tür schwang langsam auf.
Sam grinste wie ein Honigkuchenpferd. »Alter Jagdfliegertrick: ›Warum durch die Hintertür, wenn vorne offen ist?‹«
»Das muss ich mir merken«, knarrte Kraark vor Jonas’ Sattel.
Vorsichtig trat Numin in das Haus. »Robin? Saphirah?«, rief er. Niemand antwortete ihm. Er kam wieder an die Tür zurück und sagte zu den Wartenden: »Bleibt hier, bis ich mit ihnen gesprochen habe.« Dann war er verschwunden.
Jonas fand, dass die Zeit mit einem Mal so träge dahinströmte wie ein ganzer Honigfluss. Entweder konnte Numin die zwei Weisen in dem Haus nicht finden oder es gelang ihm nicht, sie zu einer Audienz zu überreden. Endlich waren Schritte zu hören.
Numin erschien an der Tür und strahlte über das ganze Gesicht. »Sie wollen eine Ausnahme machen!«
Laute der Freude erklangen. Der eine oder andere klopfte den Staub von den Kleidern. Man machte sich daran, das Haus zu betreten.
»Halt!«, bremste Numin den Eifer der Gefährten. »Nur Jonas soll ins Haus
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