Das Echo der Flüsterer
nicht ganz so athletisch gebaut war wie der Fährtensucher. Er verbeugte sich tief vor den Ankömmlingen, klopfte sich mit der rechten Handfläche auf die Brust und rief beinahe überschwänglich: »Seid willkommen! Mein Name ist Numin. Ich bin der Sohn Nabins, der dem Ältestenrat von Kalvar vorsteht. Eigentlich hat mich mein Vater euch entgegengesandt!«
»Eigentlich?«, wiederholte Darina amüsiert.
»Nun, ich habe ihn nicht extra gefragt. Ich und mein Vater sind eins – im Reden, im Denken und im Handeln.«
»Dann musst du ja ein mustergültiger Sohn sein«, neckte Darina den Abgesandten der Stadt.
Jonas wunderte sich über den vertraut klingenden Ton aus ihrem Munde ebenso wie über Numins offenen Blick, mit dem er Darina vom Kopf bis zu den Zehenspitzen musterte. Aus irgendeinem Grund hätte er ein wenig mehr Zurückhaltung für angebrachter gehalten.
»Entschuldige, Numin«, mischte er sich in das Gespräch ein.
»Ein Mensch!«, rief der begeistert.
»Ja, allerdings«, sagte Jonas nur. Er bemerkte selbst, dass seine Erwiderung nicht gerade herzlich geklungen hatte, und bemühte sich daher um einen etwas freundlicheren Ton, als er nun sein Anliegen vortrug. »Wir suchen die beiden Weisen von Kalvar. Kannst du uns zu ihnen bringen?«
»Sind das Malkits?« Numin schien Jonas’ Frage überhaupt nicht gehört zu haben. Schlimmer noch: Er sprach schon wieder mit Darina.
»Sie haben versucht uns umzubringen. Deshalb waren wir gezwungen ihnen die Freiheit zu nehmen«, antwortete diese freundlich.
»Seid ihr das, wofür ich euch halte?«
»Ja.«
Jetzt konnte Darina auch schon die Gedanken dieses Numin lesen! Jonas gefiel der gut aussehende Jüngling immer weniger. »Könntest du vielleicht doch noch meine Frage beantworten?«, wiederholte er einigermaßen grimmig sein Anliegen.
Numin ignorierte Jonas einfach. »Ihr müsst uns unbedingt eure ganze Geschichte erzählen«, bat er Darina. »Seit Äonen hatten wir keinen Kontakt mehr zu dem Volk unserer Väter und mit einem Mal steht ihr vor unserer Stadt, als wäre die Zeit nur ein Blitzen des Kristalls.«
»Das hast du wirklich schön gesagt, Numin.«
Das war zu viel für Jonas. Vor elf Tagen war er aufgebrochen, um seine Eltern zu suchen, aber das Kleine Volk hatte ihn kurzerhand nach Azon entführt, wo er seitdem herumirrte und den Bonkas – vor allem Darina – bei der Rettung ihrer Welt half. Er hatte gelitten, gehungert und viel zu wenig geschlafen. Und jetzt behandelte man ihn wie Luft! Seine ganze Anspannung entlud sich nun in einem Gewitter.
»Wenn du uns nicht selbst hinbringen willst, Numin, könntest du uns dann wenigstens den Weg zu den beiden Weisen verraten? Ich will dich ja bei deiner Plauderei nicht stören, aber wir sind hier, um deine… nein, um unsere beiden Welten zu retten. Vielleicht könnt ihr eure Turtelei noch etwas aufschieben?«
Die Gefährten starrten Jonas verdutzt an: Einen derartigen Ausbruch hatten sie bei dem stillen Jungen noch nie erlebt. Über dem betretenen Schweigen verpuffte schließlich Jonas’ Wut. Erschrocken über seine Reaktion schlug er die Augen nieder.
Plötzlich legte sich Darinas Hand auf seine zitternden Finger. »Entschuldige, mein Bruder, wenn du es so aufgefasst hast.«
Jonas verstand genau, was Darina mit dem Wörtchen »so«, meinte. Er war eifersüchtig auf Numin. Und sie hatte das natürlich sofort erkannt. Ob sie ihn wohl gerade deshalb in diesem Moment Bruder genannt hatte?
Ehe Jonas sich über seine Gefühle klar werden konnte, fügte Darina hinzu: »Du hättest zu Numin nur ein einziges Wort sagen müssen. Wir Bonkas sind mit den Menschen enger vertraut als die Kinder Keldins, die keinen Orden der Flüsterer haben. Deshalb verstehen wir euch auch, wenn dieses Wörtchen fehlt.«
Auch jetzt wusste Jonas sofort, was Darina meinte. Es fiel ihm wie Schuppen von den Augen. Er schluckte einen Kloß hinunter, so groß wie ein Donut, und sagte: »Sei mir bitte nicht böse, Numin, ich habe in der letzten Zeit wirklich etwas viel durchgemacht: Könntest du uns bitte zu den zwei Weisen bringen?«
In Numins schwarzen Augen brannte ein Feuer aus purer Lebenskraft. Die innere Stärke des jungen Mannes war leicht zu übersehen, wenn man nur auf sein augenscheinliches Temperament achtete. Diesen Blick heftete der Keldinianer nun einige Herzschläge lang auf das Menschenkind – ernst und mit versteinerter Miene –, dann strahlte sein Gesicht plötzlich auf. »Ich bin dir nicht böse, Wanderer. Ich
Weitere Kostenlose Bücher