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Das Echo der Flüsterer

Titel: Das Echo der Flüsterer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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waren. Zum Glück trugen die Malkits Fesseln, sonst hätten Jonas und seine Freunde wohl keine höfliche Begrüßung erfahren. So aber begegnete man ihnen mit scheuer Neugier.
    Je näher sie der Stadt kamen, desto mehr Landarbeiter und Hirten schlossen sich der Karawane an. Seltsamerweise hatte bisher niemand gewagt einen der Fremden anzusprechen. Zwei oder drei Keldinianer schüttelten ihre Neugierde ab und eilten den Fremden voraus. Es war ein gutes Dutzend Jahre her, dass zuletzt Menschen nach Kalvar gekommen waren. Dem Ältestenrat der Stadt musste also unverzüglich Meldung erstattet werden.
    Während Trojan seinen Reiter an die größte Siedlung des Zwielandes herantrug, staunte Jonas einmal mehr über das Kleine Volk und seinen ausgeprägten Sinn für farbenfrohe Stadtgestaltung. Wohl in Ermangelung eines größeren Gewässers hatten die Keldinianer hier keine Muscheln und Schnecken zur Errichtung ihrer Gebäude verwandt, sondern Halbedelsteine in allen nur erdenklichen Farbtönen. Er entdeckte rosafarbenen Quarz, grüne Jade, bläulichen Türkis und orangeroten Karneol. Seine Kenntnisse in der Mineralogie reichten bei weitem nicht aus, um all die verschiedenen Gesteinsarten zu benennen. Aber sehr viel rätselhafter war für Jonas die Frage, woher die keldinianischen Baumeister nur all diese kostbaren Juwelen hatten.
    »Keldin liebte edle Steine noch mehr als sein Schmiedehandwerk«, sagte Darina wieder zum richtigen Zeitpunkt.
    Jonas sah sie verwundert an.
    Sie lächelte und fügte hinzu: »Einen Tagesritt von Kalvar entfernt verläuft ein großer Canon. Er mündet später in die enge Schlucht, durch die wir nach der Spiegelregion zogen. Dort, ganz nahe am Herzen des blauen Kristalls, hat Keldin einst die edlen Steine gefunden, die du nun hier siehst. Sie sind eine Laune des Kristalls – wie so vieles andere auch.«
    »Schöne Laune! Vom Wert eines einzigen Hauses könnte wahrscheinlich ganz Muddy Creek ein Jahr lang sorgenlos leben.«
    »Das Kleine Volk hat schon vor langer Zeit festgestellt, dass Juwelen und Gold auf dem Weg zum wahren Glück nur wenig nützen.«
    »Und deshalb zimmern sie daraus ihre Häuser zusammen?«
    Darina stieß ein glockenhelles Lachen hervor. »Du bist süß, Jonas. Nein, ob es sich nun um Muscheln handelt oder Opal, Jaspis und Turmalin – wir benutzen diese Materialien ganz einfach, weil sie schön sind und uns Freude machen. Wir sind regelrecht vernarrt in solche Dinge.« Sie hielt unvermittelt die Luft an, lächelte und fuhr dann sanft fort: »Du bereitest mir auch Freude, Jonas.«
    Der Junge schwieg. Sein Gesicht fühlte sich heiß an. Komisch, dass Darina ihn immer wieder in Verlegenheit zu bringen verstand. Er kannte sie doch erst seit anderthalb Wochen. Um das Gespräch in unverfänglichere Bahnen zu lenken, fragte er: »Wie konnte Keldin überhaupt Spiegel aus dem Kristall schneiden? Ich denke, er ist so gut wie unzerstörbar.«
    »Hast du etwa schon vergessen, was dein Dolch mit Keldins Spiegel angerichtet hat?«
    Jonas erinnerte sich an die tiefe Schramme, die seine Waffe auf Kanthelms »Schild« hinterlassen hatte. »Hat Keldin den Kristall gehärtet, ähnlich wie man es mit Stahl macht?«
    »Keldin war ein großer Meister seiner Kunst. Selbst mein Wissen reicht nicht aus, um zu erklären, wie er den Dolch geschmiedet hat. Nur so viel ist mir bekannt: Der Kristall ist nicht überall gleich dicht. Als er vor Urzeiten ins Meer stürzte, wurde er an einigen Stellen stark zusammengepresst, andere Teile des Meteors vermischten sich mit den Elementen der Erde und erstarrten zu Bereichen mit geringerer Festigkeit. Keldin muss einige sehr harte Brocken gefunden haben, die er dann als Werkzeuge nutzte.«
    Während Jonas noch über Darinas Worte nachdachte, näherte sich ein Reiter von der Stadt her, ein Mann von höchstens dreißig Jahren. Er saß auf einem Vogel, der einem Strauß glich, im Gegensatz zu diesem aber voll entwickelte Flügel besaß.
    »Für so etwas würde ich mich nie hergeben«, bemerkte Kraark mit einem abschätzigen Blick auf das gefiederte Reittier.
    Der Reiter war von Kopf bis Fuß in dunkles Rot gehüllt. Er trug eine kurze, in der Taille gegürtete Tunika, weite Wollhosen und Schuhe aus einem filzartigen Material. Sein langes Haar war schwarz wie Kraarks Gefieder und wehte locker im Wind.
    Als der Reitvogel unmittelbar vor der Karawane zum Stehen kam, sprang der Reiter ab. Seine geschmeidigen Bewegungen erinnerten Jonas an Bergalf, obwohl dieser Fremde

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