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Das Echo der Flüsterer

Titel: Das Echo der Flüsterer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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einsatzbereit haben – das waren nicht einmal mehr zwei Wochen! Wenn Chruschtschow die Bedenken seines geschätzten Beraters Oleg Trojanowski mit einer einzigen Bemerkung vom Tisch gefegt hatte, dann war kaum damit zu rechnen, dass er sich sein »Abenteuer« noch ausreden lassen würde.
    Ob sich denn der erste Mann im Land des Bären nicht die verheerenden Folgen seiner Operation Anadyr ausmalen könne, wollte einer der Ältesten wissen.
    »Vielleicht sollte ich einige Worte zur Person von Nikita Sergejewitsch Chruschtschow selbst sagen, damit alle sich ein genaues Bild von ihm machen können«, antwortete der stämmige Lischka mit seltsam hintergründigem Schmunzeln. »Im Gegensatz zu Präsident Kennedy ist unser Leitbär schon alt. Er wurde am 17. April des Menschenjahres 1894 in einem kleinen Steppendorf bei der Stadt Kursk, nahe der ukrainischen Grenze, geboren. Sein Vater, ein einfacher Bauer, war sehr arm. Deshalb siedelte er vom Land zu den Kohlebergwerken des Donbass um, als Nikita gerade vierzehn Jahre alt war.«
    Lischka deutete auf Jonas und fügte hinzu: »Also ungefähr so alt wie unser Jonas hier. – Bald schon begann Chruschtschow seine politische Karriere. Mit dreiundzwanzig Jahren war er Vorsitzender der Metallarbeiter-Gewerkschaft. Zwölf Jahre später schickte ihn die Parteiorganisation der Kohleminen des Donezbeckens zum Studium an die Industrie-Akadamie in Moskau. Hier lernte er Nadeschda Allilujewa kennen, die Frau Stalins, dem Chruschtschow später an die Spitze seines Landes folgte.
    Es ist wichtig, diese Dinge zu wissen, weil Nikita Sergejewitsch bis heute auf seine einfache Herkunft pocht. Das kann manchmal geradezu groteske Züge annehmen. Ich war einmal Zeuge eines seltsamen Bescheidenheitswettbewerbs zwischen Chruschtschow und einigen anderen Sowjetführern. ›Ich bin Klempner‹, eröffnete der alte Mikojan, Chruschtschows Mentor. Frol Koslow, ein Stellvertreter Nikitas, sagte, er sei eine heimatlose Waise. Andrej Gromyko, der sowjetische Außenminister, warf stolz ein, er sei sogar nur der Sohn eines Bettlers.«
    Lischka schüttelte lächelnd den Kopf.
    »Die ganze Situation war schon ziemlich peinlich, selbst wenn man weiß, dass Stalin unter den Akademikern seines Landes grausame Ernte gehalten hatte. Mir kam diese Konkurrenz um die eigenen proletarischen Wurzeln mehr wie ein sehr
    durchsichtiger Versuch vor sich beim Leitbären Chruschtschow einzuschmeicheln.
    Der allerdings war und bleibt ein Bauer. Ich sage das nicht, damit ihr ihn unterschätzt, ganz im Gegenteil. Sein Handeln war stets von einer schon fast als brutal zu bezeichnenden Kraft geprägt. Er ist ein sehr gerissener und grausamer Mann. In den Dreißigerjahren denunzierte er Studenten an der Industrie-Akademie, dann beteiligte er sich an der Ausrottung der ukrainischen Intelligenz – ich habe wegen dieser Ereignisse nicht einmal eine Spur von Gewissensbissen bei ihm bemerkt. Aber Chruschtschow besitzt auch eine nicht zu unterschätzende Bauernschläue. Gerade sie macht ihn für viele unberechenbar. Er hat sich nicht nur der Gegner im eigenen Lager entledigt, sondern immer wieder auch die kultivierten und gelehrten Führer anderer Länder geschickt ausmanövriert. Als einmal eine sehr gefährliche Situation in der Menschenstadt Berlin herrschte, erschienen seine Ziele so widersprüchlich und seine Maßnahmen so sprunghaft, dass westliche Wissenschaftler und Beobachter, an systematisches Denken und Planen gewöhnt, gänzlich verwirrt waren und es noch bis heute sind. Ich erinnere mich noch gut eines Vorfalls während der Wiener Gipfelkonferenz, als Chruschtschow den dreiundzwanzig Jahre jüngeren amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy wie einen Schuljungen vorführte. Am Ende übermannte er ihn allein durch sein schieres Temperament. Obwohl Kennedy längst wusste, dass die angebliche Übermacht der sowjetischen Raketen nur ein Bluff war, wusste er sich nicht gegen den ukrainischen Bauern zu behaupten. Chruschtschow tobte – besessen von dem Wunsch politisch aufs Ganze zu gehen –, die Sowjetunion werde keinen Krieg beginnen, doch wenn die Vereinigten Staaten einen anfangen wollten, dann lieber gleich, bevor noch zerstörerischere Waffen entwickelt seien.«
    »Wenn ich das höre, dann sollten wir wirklich alles tun, um die Zähne des Bären auszureißen, bevor sie ganz gewachsen sind«, warf Nabin besorgt ein.
    Lischka wiegte den Kopf hin und her und lächelte listig.
    »Ich habe euch nur von dieser Episode

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