Das Echo der Flüsterer
Rat. Nie haben Saphirah oder ich euch enttäuscht. Und deshalb bitten wir euch: Hört auch heute auf uns. Eure Neutralität ist nur so lange von Wert gewesen, wie sie einem edlen Zweck diente. Aber nun ist eine Situation entstanden, die unser aller Existenz bedroht. Wenn die Dinge eintreten, die Darina uns verheißen hat, dann wird es bald kein Zwieland mehr geben. Wollt ihr nur euer Schweigen dagegensetzen? Folgt euren Brüdern, den Bonkas! Keldins Flucht ist spätestens an dem Tag zu Ende gegangen, als sie in euer Land kamen. Der Orden der Flüsterer würde sicher davon profitieren, wenn ihr ihm einige eurer klügsten Köpfe zur Verfügung stellt. Denkt einmal darüber nach.«
Robert setzte sich und schwieg. Aber seine Worte schienen noch lange nachzuhalten. Zuerst sahen sich die Ältesten des Großen Rats nur mit betroffenen Mienen an. Doch allmählich
wurde ihnen klar, dass Robins Aussage in ihrer bestechenden Einfachheit nicht zu widerlegen war.
»Wir wollen uns einen Augenblick im Kreis der Zwölf beraten«, sagte Nubin schließlich.
Jonas’ Vater nickte. »Tut das. Wir werden euch so lange allein lassen. Ruft uns, wenn ihr zu einer Entscheidung gekommen seid.«
Es dauerte dann doch beinahe drei Stunden, bis die zwölf Ältesten die Tür zum Ratssaal wieder öffneten. In der Zwischenzeit kehrte Kraark von der Verabschiedung der beiden Wölfe in den Lapislazulipalast zurück. Jonas berichtete ihm kurz, was im Großen Rat besprochen worden war.
»Zu viele Bedenken verstopfen nur das Hirn«, kommentierte der Rabe das zögerliche Verhalten des Rates. »Ich kenne das. Es führt zu nichts.«
Jonas wollte sich mit einer derart pessimistischen Einschätzung der Lage nicht abfinden. »Vielleicht haben die Worte meines Vaters ja die Verstopfung gelöst und sie treffen doch noch eine richtige Entscheidung.«
Es folgte eine Zeit bangen Wartens, in der ihm Zweifel an der Entschlusskraft der alten Männer kamen. Von ihnen hing das Schicksal zweier Welten ab! Robert hatte darauf bestanden, dass Keldins Spiegel nicht ohne deren Einwilligung benutzt wurde. Zwar waren Jonas’ Eltern nach der Tradition der Keldinianer die rechtmäßigen Eigentümer des Spiegels, doch sahen die Kleinen in der blau schimmernden Kristalltafel einen heiligen Gegenstand. Der Spiegel war von ihrem Stammvater geschaffen worden. Robert wollte nicht ihre Gefühle verletzen, indem er einfach über sie hinweg entschied.
Als erneut alle um die runde Obsidiantafel versammelt waren, erhob sich Nabin vom Stuhl und verkündete feierlich: »Der Große Rat ist zu einem Urteil gelangt. Solange wir in diesem Land leben, haben wir geschwiegen. Unser Stammvater und erster Fürst Keldin hatte uns diese edle Pflicht auferlegt, die uns über so viele Generationen den Frieden garantierte.
Dieses eherne Gesetz darf nicht leichtfertig gebrochen werden.«
Jonas hielt den Atem an. Was Nabin da sagte, klang nicht gerade viel versprechend. Hilfe suchend blickte er zu seinem Vater hin. Als dieser ihm beinahe unmerklich zulächelte, beruhigte er sich wieder etwas und hörte dem Oberältesten weiter zu.
»… würde ja bedeuten, dass die Ruhe, in der wir lebten, eine Sünde war, und das kann nicht sein. Selbst dann nicht, wenn Azon schon morgen entzweibrechen würde. Aber auch nicht, wenn unsere Welt noch weitere Jahrtausende überleben kann – mit unserer Hilfe! Deshalb haben wir beschlossen, euch, Robin und Saphirah, unser Vertrauen auszusprechen. Der Spiegel Keldins ist ohnehin euer Eigentum, weil er sich euch offenbart hat. Nun gebraucht ihn im Sinne der euren und der unsrigen Welt mit unserem Segen. Auf diese Weise werden wir das Gelübde nicht brechen müssen, aber dennoch einen Beitrag leisten, um Azon und die Menschenwelt zu retten.«
Jonas atmete erleichtert auf.
»Euer Urteil zeugt von großer Weisheit«, sagte Darina. Sie wirkte so entspannt, als hätte sie die ganze Zeit mit keiner anderen Entscheidung gerechnet.
Von diesem Augenblick an handelte die erweiterte Runde des Großen Rats als harmonische Einheit. Man beriet nun nicht mehr darüber, ob man etwas tun sollte, sondern was getan werden konnte.
Der erste Gedanke einiger Ältester am Tisch war natürlich der, den Bären davon abzuhalten, seine »Zähne« – so bezeichneten sie die Atomraketen – in Kuba zu zeigen. Lischka erinnerte noch einmal daran, wie weit die Pläne Chruschtschows schon gediehen waren. Seine Militärs wollten die Raketen zwischen dem 25. und dem 27. Oktober
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