Das Echo der Flüsterer
hinterher. Auch die anderen hatten Minuq bemerkt und folgten Jonas. Das Bild im Spiegel verblasste. Jeder wollte wissen, was den Wolf zurückgeführt hatte.
»Ihr müsst von hier fliehen!«, drängte Minuq, noch bevor Jonas ihn begrüßen konnte.
»Was… Aber warum denn?«
»Erinnerst du dich an die alte Wolfslegende über Keldins Klippe?«
Jonas nickte. »Talinka hat etwas von einem gewaltigen Wesen erzählt, das alle anderen Tiere fürchteten. Ihr Wölfe glaubt, dass es in dem Felsenloch unterhalb von Keldins Burg schläft, bis zu dem Tag, da die Wölfe auf den Berg zurückkehren.«
In einem Zugeständnis an die menschliche Mimik nickte Minuq. »Der Schläfer ist nun erwacht, Jonas. Er hat sein Loch verlassen, um in die Welt des Kleinen Volkes zurückzukehren.«
Jonas starrte den Graupelz entsetzt an. Er war sich nicht ganz sicher, ob er Minuq richtig verstanden hatte.
»Es ist dasselbe Glühen«, drang Bergalfs Stimme an sein Ohr.
Als Jonas sich zu dem Fährtensucher umwandte, wusste er sofort, was dieser meinte. Bergalf hielt seinen Sinnstein in der Hand. Im äußeren Bereich des violett gefärbten Kristallkiesels strahlte ein tiefgelbes Licht. Es handelte sich dabei nicht um einen Punkt wie bei Darina, sondern vielmehr um eine Wolke mit einem intensiv leuchtenden Zentrum.
Natürlich erinnerte sich Jonas an die Worte seiner Gefährten im Großen Wald, an die Wolfslegenden – an das mächtige schlafende Wesen im Herzen von Keldins Klippe. Dennoch war Jonas kein Mensch, der in allem Fremden gleich eine Gefahr witterte. Für ihn war kein Lebewesen von vornherein böse. Deshalb riss er sich vom Anblick des strahlenden Sinnsteins los und fragte den Wolf: »Glaubst du, es kann uns wirklich gefährlich werden?«
Minuq erwiderte schweigend Jonas’ Blick. Schließlich antwortete er: »Das Wesen ist ein Gorrmack, Jonas. Und der, der es reitet, ist dir gut bekannt.«
»Kanthelm!«, entfuhr es Jonas.
»Was ist mit Kanthelm und mit diesem Wesen, das alle Tiere fürchten? Jonas!«
»Was?« Als wäre er gerade aus einem bösen Traum erwacht, blickte Jonas zu seinem Vater auf. Erst jetzt fiel ihm ein, dass bis auf Kraark ja niemand den Wolf hatte verstehen können. In knappen Worten fasste er Minuqs Beobachtungen zusammen.
»Weshalb hat Minuq gesagt, wir müssten fliehen?«, fragte Sarah.
»Weil Kanthelm das Wesen direkt auf den Palast des blauen Steins zulenkt«, erwiderte Minuq.
»Du meinst hierher?«, erkundigte sich Jonas entsetzt.
Als er Minuqs Antwort übersetzt hatte, sagte Darina mit der ihr eigenen Gelassenheit: »Ich vermute, er wird sich mit dem Lapislazulipalast nicht begnügen. Sobald er dieses Haus zerstört hat, wird er den Gorrmack gegen die Stadt selbst lenken.«
»Ich wünschte, ich hätte einen niedlichen kleinen Schützenpanzer eingepackt, dann würde ich das Ding schon wegblasen«, knurrte Sam Chalk.
»Eine solche Menschenwaffe könnte gegen einen Gorrmack nicht viel ausrichten«, erwiderte Darina. »Er ist ein Teil des Kristalls. Die meisten Geschosse würden einfach durch seinen Facettenkörper hindurchgehen und irgendwo auf Azon einschlagen. Doch selbst wenn jeder Schuss ein Treffer wäre, könnte das ein so gewaltiges Wesen nicht aufhalten. Minuq hat Recht, wir müssen in die Stadt und schnellstens die Kalvarer warnen. Wenn wir Glück haben, marschiert der Gorrmack glatt durch die Häuser hindurch und hinterlässt nur eine breite Schneise.«
»Nur!«, schnappte Numin. Er war ganz außer sich vor Erregung. »Sie hat nur gesagt. Du sprichst zufällig von meiner Geburtsstadt, Darina!«
»Dann lauf, Numin, und alarmiere Kalvar. Bereite die Leute darauf vor, dass sie aus der Marschrichtung des Gorrmacks fliehen, solange noch Zeit dazu ist.«
Numin stieß ein trockenes Lachen aus und schüttelte den Kopf. »Nein, ich werde nicht laufen. Ich werde fliegen!«
Mit diesen Worten stürzte er ins Freie. Hinter dem Lapislazulipalast befand sich ein großer Stall, der gleichzeitig auch als Lager diente. Dorthin lief der Sohn des Oberältesten, band seinen Reitvogel los und sprang mit einem einzigen Satz auf dessen Rücken. Das Tier rannte ins Freie und breitete seine Flügel aus.
Als ein lautes Rauschen über den Innenhof des Palastes fegte, blickte Jonas staunend gen Himmel. Numin ritt geradewegs durch die Luft wie eine Märchenhexe, mit dem einzigen Unterschied, dass sein Besen lebendig war und statt Reisig Federn besaß.
Bergalf war inzwischen um den Palast herumgelaufen und kam gerade
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