Das Echo der Flüsterer
wieder in den Innenhof zurück, in dem die anderen sich inzwischen für den Aufbruch bereitmachten.
»Da ist eine Staubwolke am Horizont, mehr konnte ich noch nicht sehen, aber was immer da auf uns zukommt, es muss unvorstellbar groß sein.«
»Los, wir laufen zum Stall und holen die Tiere«, drängte Mangaar. »Ihr anderen beeilt euch ein bisschen und kommt vor den Palast. Wir dürfen keine Zeit verlieren.«
Während die beiden Fährtensucher wegstürmten, schickte Jonas den Raben auf Erkundungsflug. »Du bist jetzt meine U-2, Kraark. Flieg dem Gorrmack entgegen und versuche herauszubekommen, wann er hier sein wird und wie er sich bewegt.«
»Was willst du damit sagen?«
»Ich möchte wissen, wie schnell das Wesen auf die Anordnungen Kanthelms reagiert.«
»Ich verstehe. Wenn der Gorrmack ihm nur träge folgt, dann können wir vielleicht abschätzen, an welcher Stelle er in die Stadt einbrechen wird.«
»Und wo er wieder hinausstampft«, fügte Jonas hinzu. »Und jetzt flieg!«
In Windeseile wurden einige Gegenstände ins Freie getragen. Obwohl Robin und Saphirah in einem Palast wohnten, gab es nur wenige Dinge, an denen ihr Herz hing.
»Hol du den Spiegel«, rief Robert seinem Sohn zu, während er selbst ein paar dicke Bücher nach draußen schleppte.
»Ist gut.«
Jonas lief durch den Innenhof, umrundete den Springbrunnen und betrat das Gebäude wieder an dem hinteren Querflügel, in dem sich der Ratssaal befand. Vor dem Spiegel blieb er schwer atmend stehen. Keine Frage, Kanthelm hatte es vor allem auf dieses wertvolle Stück abgesehen. Wenn er den Spiegel in seine Gewalt brachte oder ihn zerstörte, dann war er der Einzige, der die Menschen nach Belieben belauschen oder ihnen seine boshaften Gedanken zuflüstern konnte. Jonas griff mit beiden Händen nach dem goldenen Rahmen, doch dann hielt er inne.
Ob er selbst auch ein Flüsterer sein konnte? Er hatte sich in den vergangenen zwei Tagen schon mehrmals gefragt, wie man dabei wohl vorging: Man dachte intensiv an einen Menschen, der dann prompt in dem Spiegel erschien und aufmerksam darauf wartete, dass ihn die Muse küsste. Na ja, vielleicht war diese Vorstellung etwas übertrieben, aber was war schon dagegen einzuwenden, wenn er ein einziges Mal versuchte das Fenster zur Menschenwelt aufzustoßen?
Jonas stellte sich das Zimmer vor, in dem der Krisenstab Kennedys tagte: die weißen Wände, die Bücherregale an der Wand, den rechteckigen Tisch mit den breiten gepolsterten Stühlen, an denen hinten blanke Nieten befestigt waren.
Der Spiegel blieb dunkel. Er zeigte nur eine blaue unergründliche Tiefe.
Da fiel Jonas ein, was er falsch gemacht hatte. Unwillkürlich hatte er sich den Ort vorgestellt, an dem der Präsident sich befinden musste, aber der Spiegel war ja kein Fernrohr. Er öffnete sich nur, wenn man die Person im Sinn hatte, die man sehen wollte.
Zu seinem Erstaunen lichteten sich gleich darauf die herumwirbelnden Nebelschwaden in der Kristalltafel. Da war er, der Präsident, John F. Kennedy. Ein seltsames Gefühl der Macht überkam Jonas. Wenn es so einfach war, die Menschen zu kontrollieren, was für ein gefährlicher Gegenstand musste dann dieser Spiegel sein! Kein Wunder, dass ein boshafter Charakter wie Kanthelm dieser Versuchung erlegen war.
Plötzlich erscholl ein Ruf von draußen. Jonas’ Vater suchte ihn schon. Erschrocken blickte er auf das Bild im Spiegel. Die Männer um Kennedy waren noch immer damit beschäftigt, das Für und Wider einer Militäroperation auf Kuba zu diskutieren. Jonas hörte Schritte auf dem Flur. Ein schrecklicher Gedanke schoss ihm durch den Kopf: Wenn auch dieser Spiegel Keldins auf der Flucht vor Kanthelm zerstört werden sollte, dann gab es keine Möglichkeit mehr, diese angriffslustigen Männer vor ihrem größten Fehler zu warnen. Ehe er sich dessen noch recht bewusst wurde, entlud sich seine ganze Angst in einem verzweifelten Ausruf.
»Lasst das doch sein! Meinetwegen verhängt eure Quarantäne, aber greift den Moskito nicht an. Die Zähne des Bären würden euch alle zerreißen!«
Im Konferenzsaal flogen ein Dutzend Köpfe hoch.
Robert McNamara sprach aus, was alle anderen dachten. »Haben Sie das auch eben gehört, Mr. President?«
»Ich… ja, Bob. Es war, als hätte draußen ein Kind gerufen.«
Bobby sagte: »Ich hatte eher den Eindruck, die Stimme wäre von irgendwo hier oben gekommen.« Dabei klopfte er sich an die Stirn.
»Wahrscheinlich haben unsere Nerven uns einen Streich gespielt«,
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