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Das Echo der Flüsterer

Titel: Das Echo der Flüsterer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Luftkommando die nuklearen Bomberstaffeln in höchste Alarmbereitschaft. Maschinen vom Typ B-52 erhoben sich von nun an pausenlos in die Luft, bis ein Achtel der gesamten Streitmacht ständig am Himmel kreiste. Fast dreihundertundfünfzig weitere Bomber und andere Flugzeuge wurden auf insgesamt dreiunddreißig zivile und militärische Lufthäfen verteilt. Alle Maschinen waren mit Atomwaffen bestückt.
    Die Vereinigten Stabschefs ordneten für sieben Uhr abends DEFCON 3 an. Das bedeutete erhöhte Alarmbereitschaft für die gesamten Streitkräfte der Vereinigten Staaten rund um den Erdball. Der Zeitpunkt war bewusst gewählt. Um sieben würde eine Bombe mit Sicherheit platzen: Kennedys Fernsehansprache vor der Nation und vor der ganzen Welt.
    Um drei Uhr nachmittags rief Jack Kennedy noch einmal den Nationalen Sicherheitsrat zusammen, um alle Mitglieder auf den neuesten Stand zu bringen. Bei dieser Besprechung wurde nun auch offiziell die Gründung des Executive Commit tee of the National Security Council, des Exekutivkomitees, bekannt gegeben, das ja in Wirklichkeit schon seit sieben Tagen arbeitete.
    Der Tag verging wie im Flug. Nicht nur für die Flüsterer. In Washington jagte eine Besprechung die andere. Kennedy gab Anweisungen, weihte politische Freunde und Gegner in die aktuelle Lage ein und er übte seine Fernsehrede. Es kam nicht nur darauf an, was er sagen würde, sondern auch wie er es tat.
    Dean Rusk saß um sechs Uhr abends in einer weiteren seiner zahllosen Besprechungen, einer von der heiklen Art. Anatoli Dobrynin, der sowjetische Botschafter in Washington, war ins Außenministerium zitiert worden. Rusk sprach offen an, was die U-2-Aufklärer herausgefunden hatten. Er bezeichnete die sowjetischen Raketenlieferungen als einen »groben Fehler«. Die selbstgefällige Miene Dobrynins fiel in sich zusammen wie ein Kartenhaus. Als der Botschafter das State Department verlassen hatte, vertraute Rusk einem seiner Beamten an: »Der Botschafter ist vor meinen Augen um zehn Jahre gealtert.«
    Dann war es Zeit für die große Rede. Sieben Uhr abends. John F. Kennedy flimmerte über die Bildschirme der Nation. Er ahnte nicht, dass er in einer gar nicht so fernen Welt sogar dreidimensional empfangen werden konnte.
    Der Präsident wirkte ernst, aber nicht bedrückt, eindringlich, jedoch nicht angespannt; alles in allem ein auffallend gut aussehender Mittvierziger, der kühle Selbstsicherheit verströmte. Sein Auftritt folgte einer wohl überlegten Dramaturgie. Zuerst wirkte er wie der strahlende Detektiv, der dem auf frischer Tat ertappten Gangster verkündet, dass nun alles vorbei sei. Dann wechselte er in die traditionelle Rolle des Kriegsherren über.
    »Der Kurs, den wir jetzt eingeschlagen haben«, sagte der Führer der freien Welt, »ist voller Risiken – aber es ist der Kurs, der unserem Charakter und unserem Mut als Nation sowie unseren Verpflichtungen überall in der Welt am meisten entspricht. Der Preis der Freiheit ist stets hoch – aber wir Amerikaner haben ihn immer entrichtet und ein Weg, den wir niemals wählen werden, ist der Weg der Kapitulation oder der Unterwerfung. Unser Ziel ist nicht der Sieg der Macht, sondern die Aufrechterhaltung des Rechts – nicht Frieden auf Kosten der Freiheit, hier in dieser Hemisphäre und, so hoffen wir, in der ganzen Welt. Mit Gottes Hilfe werden wir dieses Ziel erreichen.«
    Was wohl Gott davon hielt, in diese Angelegenheit hineingezogen zu werden?, dachte Jonas. Da hatte der Präsident doch kurzerhand der »ganzen Welt« eine Pille verordnet, die – so meinte Jonas – unmöglich zu schlucken war. So viel jedenfalls stand für ihn fest: Jeder vernünftige Mensch musste innerhalb von fünf Minuten zu dem Schluss kommen, dass die totale Vernichtung seines irdischen Lebensraums ein Heilmittel schlimmer als jede Krankheit war. Aber dann fiel ihm wieder ein, was die anderen Großen dieser Welt im Laufe des Tages gesagt hatten. Ihnen war der »Preis für die Freiheit«, den Kennedy beschworen hatte, anscheinend nicht zu hoch.
    Auffällig an Jacks Rede war die mehrmalige Betonung der »eindeutig offensiven Waffen der plötzlichen Massenvernichtung«. Damit meinte er seltsamerweise nie die atomare Streitmacht der Vereinigten Staaten, die in diesen Minuten am Himmel schwebte und in der Türkei, in Italien, auf der ganzen Welt in den Silos lauerte, sondern immer nur die sowjetischen Raketen auf Kuba.
    Auch die Offenheit, mit der er die Sowjetunion der Lüge bezichtigte,

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