Das Echo der Flüsterer
noch hatte, waren so kurz, dass man ihn vorschnell als kahl hätte abstempeln können. Wenn er schrie, glitzerten seine Goldzähne wie Sternschnuppen.
Chruschtschow fegte durch ein tennisplatzgroßes Büro, das von Plüsch und großen Telefonen beherrscht wurde. Bei ihm stand ein Mann, den Lischka als Oleg Trojanowski identifizierte. Wie der Flüsterer vermutet hatte, war die Nachricht von Kennedys Fernsehansprache in Moskau wie eine Bombe eingeschlagen.
»Mikojan und Gromyko werden sich die Hände reiben«, bemerkte Trojanowski beiläufig. Er hütete sich anzumerken, dass auch er seinen Chef vor der kubanischen avantjura gewarnt hatte.
»Die können mir gestohlen bleiben«, schrie Chruschtschow und unterstrich seine Bemerkung durch einige handfeste Schimpfworte. »Erinnerst du dich noch an unsere Sitzung, Oleg? Ich mich genau! Es war am 24. Mai, an einem Mittwoch. Alle waren da. Das Politbüro und auch das Sekretariat. Als Malinowski die Operation Anadyr erklärt hatte, haben alle das Papier unterschrieben. Alle! Keiner kann sich da rausreden.«
»Die Amerikaner wird das herzlich wenig interessieren«, sagte ein anderer Mann, in dem Lischka den Diplomaten Wassili Kusnezow erkannte. Seine Stimme klang auf eine sehr kultivierte Weise abschätzig, als verurteile er irgendeinen Skandal während der letzten Vorstellung des Bolschoitheaters.
»Ich habe diesen Jungen falsch eingeschätzt«, zeterte Chruschtschow, während er vor den Augen seiner Berater das Papierbündel mit Kennedys Rede in der Faust schwenkte. »Hier!« Er suchte die Passagen, die ihn besonders erregt hatten, noch einmal heraus. ›»Ich appelliere ferner an ihn‹, damit meint er mich, ›dieses Streben nach Weltherrschaft aufzugeben‹. Und da: ›Wir wünschen keinen Krieg mit der Sowjetunion – denn wir sind ein friedliches Volk, das mit allen anderen Völkern in Frieden leben will.‹ Ha!« Chruschtschows Ausruf knallte wie ein Peitschenhieb durch den Saal. »Droht mir mit einem Vergeltungsschlag und sagt im gleichen Atemzug, er wolle Frieden. Die amerikanischen Politiker waren schon immer ein doppelzüngiges Gesindel.«
»Darf ich Sie daran erinnern, dass Sie einmal gesagt haben, Sie würden Dwight D. Eisenhower ihre Kinder zur Erziehung anvertrauen, Genosse Ministerpräsident?«
»Nehmen Sie sich mit Ihren Worten in Acht, Wassili!« Chruschtschows Ton war schneidend geworden. »Der General war ein guter Mensch, aber ein jämmerlicher Staatsmann. Ich verstehe überhaupt nicht, wie die Amerikaner ihm nur ihr Land überantworten konnten. Das Problem bei allen diesen westlichen Führern ist, dass man sich nicht auf sie verlassen kann. Kaum hat man sich an einen gewöhnt, wird er schon wieder abgewählt.«
»Das nennt man im Westen Demokratie.«
»Vielen Dank für die Belehrung, Wassili. Auf diese Art von Demokratie pfeife ich. Sie hat uns bisher nichts als Ärger gebracht. Nehmen Sie doch nur Churchill – ein unverbesserlicher Feind des Sozialismus, der die Sowjetunion zerstören wollte. Oder Truman – ein engstirniger Politiker, der durch Zufall an die Macht kam, als Roosevelt das Zeitliche segnete. Seine Politik gegenüber unserem Land war herausfordernd und schlicht unerträglich. Vermutlich lag es an seinem Charakter. Oder an seinen geistigen Fähigkeiten. Oder an beidem. Ein kluger Präsident wäre nicht so radikal gewesen und hätte die Sowjetunion gegen die Vereinigten Staaten aufgehetzt.«
Oleg Trojanowski neigte sich über die Sessellehne und hob einen Zettel vom Boden auf, der Chruschtschow aus der Hand gefallen war. »Es gehört zur Politik der Amerikaner, arrogant zu sein. Sie verletzten die Absprachen des Potsdamer Abkommens Deutschland betreffend. Sie haben uns ohne viel Federlesen aus Japan hinausgeworfen. Sie behandeln uns wie Kinder. Wenn sie einen Vertrag unterschreiben, dann ist er nicht einmal das Papier wert, auf dem er steht.«
»Wenn einem Vertrag nicht mit Gewalt Achtung verschafft werden kann, dann taugt er nichts«, schnaubte Chruschtschow. »Wir machten uns selbst zum Gespött. Wir würden vom Westen wie Einfaltspinsel behandelt.«
»Sollten wir jetzt nachgeben, dann werden sie uns noch für viel größere Einfaltspinsel halten«, bemerkte Kusnezow lakonisch.
Der Kremlchef funkelte den Stellvertreter Gromykos wütend an. Dann wischte er mit einer Handbewegung seinen Schreibtisch leer und brauste auf den Ausgang zu. Ohne sich noch einmal umzudrehen, rief er den beiden Männern zu: »Morgen früh um neun will
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