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Das Echo der Flüsterer

Titel: Das Echo der Flüsterer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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verwunderte Jonas. Nachdem Jack haarklein die geheimdienstlich ermittelten Fakten aufgezählt und mehrmals aus der verharmlosenden Stellungnahme des Kremls zitiert hatte, sagte er beeindruckend knapp: »Diese Erklärung war unwahr.«
    Wie merkwürdig, dachte Jonas, dass der Präsident ganz vergessen hatte die amerikanischen Täuschungen und Falschaussagen zu erwähnen. Da war keine Rede von Adlai Stevensons Leugnung einer amerikanischen Beteiligung an der Schweinebuchtaffäre. Auch das Trommelfeuer von Lügen zur Verharmlosung des im Mai 1960 jäh über Swerdlowsk gewaltsam beendeten U-2-Fluges wurde mit keiner Silbe erwähnt.
    Stattdessen sprach der Präsident Worte, die vor ihm so oder ähnlich auch schon andere politische Führer in den Mund genommen hatten, bevor sie ihre Völker in den Krieg führten. »Weder die Vereinigten Staaten von Amerika noch die Weltgemeinschaft der Nationen können eine bewusste Täuschung und offensive Drohung vonseiten irgendeiner Nation – sei sie nun groß oder klein – dulden. Wir leben nicht mehr in einer Welt, in der nur das tatsächliche Abfeuern von Waffen eine solche Bedrohung für die Sicherheit einer Nation darstellt, dass ein Höchstmaß an Gefahr gegeben ist. Nukleare Waffen haben eine derartige Zerstörungskraft und ballistische Raketen sind derart schnell, dass jede wesentlich gesteigerte Möglichkeit für ihren Einsatz oder jede plötzliche Veränderung ihrer standortmäßigen Aufstellung sehr wohl als eine definitive Bedrohung des Friedens angesehen werden kann.«
    Jonas erinnerte sich an etwas, das Ximon vor kurzem gesagt hatte: Eine Blockade, ob nun zu Lande oder zur See, werde nach dem Völkerrecht eindeutig als Kriegsgrund eingestuft. Alle Mitglieder der Vereinten Nationen hatten sich durch Anerkennung ihrer Charta dazu verpflichtet, gegen die Grenzen und die politische Unabhängigkeit anderer Staaten weder durch Drohungen noch durch Anwendung von Gewalt vorzugehen.
    Kennedy sagte weiter: »Unsere Nation ist gegen den Krieg.« Und vier Sätze später: »Aber nunmehr sind weitere Maßnahmen notwendig geworden – und sie sind angelaufen. Und diese Maßnahmen stellen vielleicht nur den Anfang dar. Wir werden weder voreilig noch unnötig die Folgen eines weltweiten Atomkrieges riskieren, bei dem selbst die Früchte des Sieges nur Asche auf unseren Lippen wären – aber wir werden auch niemals und zu keiner Zeit vor diesem Risiko zurückschrecken, wenn wir uns ihm stellen müssen.«
    Obwohl es in der Höhle eher kühl war, schwitzte Jonas am ganzen Körper. Gerade hatte John F. Kennedy seine »Mitbürger« und die »Weltgemeinschaft der Nationen« auf einen Atomkrieg eingeschworen. So wie eine Kindergärtnerin ihre lärmenden Kleinen anweist einander an den Händen zu fassen, um gemeinsam eine gefährliche Straße zu überqueren, nahm der Präsident der Vereinigten Staaten die großen und kleinen Länder der Welt an die Hand und führte sie… Ja, wohin denn eigentlich?
    Minutenlang hörte Jonas wie betäubt die Aufzählung der »ersten Schritte«, der ersten Maßnahmen gegen eine Bedrohung der freien Welt. Kennedy sprach über die »Quarantäne«, also die Seeblockade; erwähnte die Notwendigkeit einer weiteren Überwachung Kubas; versicherte, dass »jeder Abschuss einer Atomrakete von Kuba aus« einen »umfassenden Vergeltungsschlag gegen die Sowjetunion« erforderlich machen würde; kündigte die unverzügliche Einberufung von Sondersitzungen der Organisation Amerikanischer Staaten sowie des Weltsicherheitsrates der Vereinten Nationen an und appellierte schlussendlich an Chruschtschow persönlich »diese heimliche, unbesonnene und provokatorische Bedrohung des Weltfriedens und der stabilen Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern zu beenden«.
     
     
    Chruschtschow tobte wie ein beleidigter Waldschrat. Er hielt den Text in der Hand, den sein Botschafter ihm aus Washington übermittelt hatte. Dean Rusk hatte den Wortlaut der Rede des Präsidenten schon eine Stunde vor der Fernsehansprache an Dobrynin ausgehändigt. Eine Kopie der Ansprache und einen zusätzlichen Brief Kennedys hatte freundlicherweise dann noch der US-Botschafter Foy Kohler im Kreml abgeliefert. Chruschtschow schäumte vor Wut.
    Interessiert betrachtete Jonas den aufgebrachten Mann im Kristallspiegel. Nikita Sergejewitsch Chruschtschow war nicht sehr groß, dafür aber ziemlich füllig. Selbst sein Kopf unterstrich den rundlichen Gesamteindruck: Die wenigen grauen Haare, die der Kremlchef

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