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Das Echo der Flüsterer

Titel: Das Echo der Flüsterer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Kanthelm. Darina hatte viel über die Gorrmacks erzählt. Sie vereinten in sich all die erstaunlichen Eigenschaften dieser Welt. Einzelne Schuppen ihres Körpers waren Facetten, durch die man zur Erde hinübersehen konnte. Andere konnten womöglich Tore sein, die in abgelegene Regionen Azons führten. Darina hatte nicht ausgeschlossen, dass die Gorrmacks sich gewissermaßen selbst an einen anderen Ort versetzen konnten. Vielleicht waren sie sogar in der Lage das Echo der Flüsterer nachzuahmen. All das war so phantastisch, dass Jonas mehr Bewunderung als Furcht empfand, wenn er an diese mächtigen Wesen dachte.
    Steinalt im wahrsten Sinne des Wortes mussten sie über ein bewundernswertes Wissen ihrer Welt verfügen – vielleicht sogar beider Welten. Leider glich der Verstand dieser Geschöpfe dem eines kleinen Kindes. Der Gorrmack vom Grunde der Klippe hatte zudem den größten Teil seiner Existenz verschlafen und Kanthelm war das erste Lebewesen gewesen, dem er seit Jahrtausenden begegnet war. Jonas schnaubte. Das waren die besten Voraussetzungen für eine hundsgemeine Manipulation. Kein Wunder, wenn Kanthelm sich den Willen des Kristallwesens hatte leicht unterwerfen können. Nein, der Gorrmack war nicht böse.
    Jonas setzte seinen nächtlichen Erkundungsgang durch den Muschelpalast fort. Sein Magen knurrte und er war durstig. Wo zauberte Krem nur immer all diese köstlichen Speisen her? Mit einem Mal stand er vor dem Kristallsaal.
    Vorsichtig öffnete Jonas die schwere Holztür und steckte den Kopf in den Raum. Die gewaltige Kristallglasplatte auf der nicht minder großen Muschel lag verwaist da. Auch hier glimmte schwaches Licht in den runden Wandkugeln.
    Jonas’ Blick fiel auf den Alkoven in der Wand. Hinter dem Kristallglas lag Keldins Spiegel auf eben jenem Sockel, der zuvor Darina als Schlafstatt gedient hatte. Einer plötzlichen Eingebung folgend trat Jonas in den Saal. Auf leisen Sohlen näherte er sich der Wandnische. Er erinnerte sich sogleich an das unauffällige Schneckengehäuse an der Wand, mit dem Krem die Tür zum Alkoven vor gut zweieinhalb Wochen geöffnet hatte. Es dauerte auch nicht lange und Jonas fielen wieder die vier Muschelschalen ein, die zu drücken waren. Lautlos glitt die Kristallplatte zur Seite.
    Langsam ging Jonas in die Nische hinein. Vor dem Sockel blieb er stehen und sah auf den Spiegel hinab. Der goldene Rahmen hob sich wie ein königliches Herrschaftszeichen von dem karminroten Polster ab.
    Jonas blickte in die blaue Tiefe des Kristalls. Er spürte eine eigenartige Faszination von diesem Gegenstand ausgehen. Ob er noch einmal…?
    Wie ein Relief, das sich aus einer dicken Staubschicht erhebt, wuchs Jonas das Bild von John F. Kennedy entgegen. Es war immer wieder erstaunlich, wie real diese Facettenbilder durch ihre Räumlichkeit wirkten. Jonas hätte am liebsten seinen Finger ausgestreckt, um dem Präsidenten der Vereinigten Staaten auf die winzige Schulter zu tippen und ihm zuzuflüstern: »He, Jack! Vergiss doch diesen Unsinn mit den Raketen…«
    In diesem Moment trat ein kleines Mädchen in das blau schimmernde Kristalloval. Jonas erkannte es sofort wieder. Es war Caroline, Jacks beinahe fünfjährige Tochter. Jonas hatte eine Idee.
    Jack und Caroline befanden sich in den Privatgemächern des Präsidenten. Das Zimmer war nur schwach beleuchtet. Der Vater saß im Licht einer Tischlampe in einem voluminösen Sessel und las in irgendwelchen Papieren. Caroline hatte ein Nachthemd an und beäugte still ihren Vater. Jack hatte sie noch nicht bemerkt.
    Jonas näherte sich der Kristallplatte, so wie er es immer bei seinem Vater oder bei Ximon und Lischka gesehen hatte, und flüsterte: »Jack, du bist nicht allein.«
    Es funktionierte. Der Präsident hob unvermittelt den Kopf und entdeckte seine Tochter.
    »Was wird wohl aus ihr werden, wenn du morgen einen Fehler machst?«, flüsterte Jonas noch einmal.
    Der Präsident legte spontan die Papiere zur Seite und sagte: »Caroline, komm doch mal her.«
    »Darf Ted auch mitkommen?« Damit meinte Caroline wohl den Stoffbären, den sie im Schwitzkasten hielt.
    »Natürlich, bring den alten Roosevelt ruhig her.«
    »Er heißt Ted, nicht Rosenwelt.« Caroline machte es sich auf dem Schoß des Vaters bequem.
    »Natürlich, entschuldige bitte. Hast du dir schon die Zähne geputzt, Caroline?«
    Sie nickte.
    »Und warum schläfst du noch nicht? Es ist schon spät.«
    Caroline zuckte mit den Schultern. »Weiß nicht. Ich kann nicht

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