Das Echo der Flüsterer
kubanische oder sowjetische Geheimdienst früher oder später den Braten riechen und dann war ein Atomkrieg sicher.
Jonas konnte in dieser Nacht nur schlecht schlafen. Sein Vater hatte darauf bestanden, dass er im Muschelpalast blieb. Am nächsten Morgen dann konnte er nur mit Mühe einige Bissen hinunterbekommen. Immer wieder drängte er seine Mutter, endlich zur Facettenhöhle aufzubrechen. Seinen Vater hatte es schon irgendwann in der Nacht fortgezogen.
In der Nebenkammer der Höhle der Flüsterer trafen sich alle wieder. Ximon, Lischka und Quitu wirkten übernächtigt, aber nicht unzufrieden.
»Ich glaube, wir haben den Karren noch einmal aus dem Dreck gezogen«, begrüßte Lischka die Wachablösung.
»Was heißt das?«, wollte Robert wissen.
»Kennedy hat wirklich nichts von der Geheimoperation auf Kuba gewusst. Die hätten allen Ernstes mit ihren Sabotageakten begonnen, also brennende Streichhölzer an die Atomlunten gehalten.«
»Und ihr habt sie ausgepustet?«
Lischka nickte. »So gut wie. Der CIA und die Army haben sich diesen Streich ausgeheckt, um Castro ein Bein zu stellen. Offenbar waren die betroffenen Dienststellen aber nicht darüber informiert, was der Präsident und sein Exekutivkomitee gerade für ein Süppchen kochten. Wir haben einigen Beteiligten massiv ins Gewissen geflüstert oder ihnen einige Informationen zugesteckt, die sie eigentlich nicht kennen konnten. Derzeit sind die Sabotageteams in Wartestellung. Ich schätze, bald wird man sie ganz zurückziehen.«
Robert bedankte sich bei den drei Flüsterern und schickte sie ins Bett. Er wolle sich jetzt wieder um Jack kümmern und da er ja nun auch Nikita kennen gelernt habe, sei es auch kein Problem mehr, im Kreml nach dem Rechten zu sehen.
Jonas brauchte mindestens eine Stunde, bis er wieder einigermaßen konzentriert den Vorgängen auf der Erde folgen konnte. Es wollte nicht in seinen Kopf gehen, dass da ein paar Männer in Washington und Moskau beisammensaßen und meinten die Geschicke der Welt zu lenken, während gleichzeitig ihre Untergebenen »die Räder des Karrens abschraubten«, wie Lischka es ausgedrückt hatte. Das Schlimme war, diese mächtigen Männer glaubten anscheinend wirklich die Lage in der Hand zu haben; dabei drängte sich Jonas eher der Eindruck auf, die Situation habe die Männer fest im Griff.
McGeorge Bundys Büro sah aus wie jeden Morgen. Die einzige Ausnahme bildete das Kalenderblatt.
Dienstag
23
Oktober
Eine Woche war es nun schon her, seit das Exekutivkomitee zum ersten Mal über die kubanischen Raketen diskutiert hatte. Auch an diesem Morgen kam es wieder zusammen.
Kennedy besprach mit seinem Kriegsrat, wie und wann am besten die offizielle Unterzeichnung des Blockadebeschlusses vorgenommen werden sollte. Erst an diesem Dienstag würde die OAS, die Organisation Amerikanischer Staaten, darüber beraten und es war bei weitem nicht sicher, ob man dem Antrag der Vereinigten Staaten zustimmen würde.
Was der Präsident zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste, hing mit den Ereignissen im Kreml zusammen. Jonas’ Vater hatte gleich zu Beginn ihrer »Beobachtungstour durch die Machtzentren der Welt« einen Blick nach Moskau geworfen. Während die sowjetische Nachrichtenagentur TASS eine Stellungnahme zur vortägigen Ansprache Kennedys verbreitete, wurde der US-Botschafter Foy Kohler ins Außenministerium gerufen. Dort übergab man ihm einen Brief Chruschtschows. Der Ministerpräsident der UdSSR brachte darin in auffallend höflicher Form zum Ausdruck, dass die sowjetischen Militärlieferungen, unbenommen ihrer Einordnung in Waffenklassen, ausschließlich der Verteidigung Kubas dienten. Diese Sicherungsmaßnahme sei auch geboten, da es Aggressoren gäbe, die es auf die Insel abgesehen hätten. Er hoffe – und nun gewann der Ton Chruschtschows an Schärfe –, die Vereinigten Staaten würden Weisheit zeigen und auf die Aktionen verzichten, die bereits eingeleitet seien, andernfalls müsse mit »katastrophalen Konsequenzen für den Weltfrieden« gerechnet werden.
Das Exekutivkomitee würde erst am Abend dazu kommen, Chruschtschows mutige Erwiderung gebührend zu würdigen. Als es um zehn Uhr morgens zusammenkam, war man zunächst guter Dinge. Man lebte noch! Die Fernsehansprache des Präsidenten war ein eindrucksvoller Beweis, dass mit den Vereinigten Staaten nicht zu spaßen war. Doch je länger die ExComm-Sitzung dauerte, desto mehr verflog die aufgeräumte Stimmung. Der CIA-Direktor John
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