Das Echo der Flüsterer
damit nichts mehr anfangen. Aber euch beiden könnten sie helfen, wenn ihr einmal einander braucht.«
Jonas sah bewegt auf den grünen Stein hinab, der wie das Meer selbst schimmerte. »Wie funktioniert er?«
»Das wirst du schon merken, wenn es so weit ist.« Mit dieser kärglichen Erklärung wandte Syrda sich Numin zu. »Und damit du nicht traurig bist, nimm diesen Ring hier. Er kann dir sehr nützlich sein.«
Numin konnte sein Glück kaum fassen. Sein Gesicht strahlte. Während er den goldenen Ring mit dem rot funkelnden Stein entgegennahm, bedankte er sich überschwänglich bei Syrda. Dann wurde seine Miene plötzlich nachdenklich. »Wozu ist er denn gut?«
»Du besitzt nun einen Wahrheitsring. Wenn dich jemand anlügt, wird er zu leuchten beginnen.«
Auf dem Rückweg hielt Numin unentwegt die Hand vor das Gesicht, an seinem rechten Ringfinger steckte Syrdas Geschenk. Darina musste ihn mehrmals auf die Unebenheiten des Weges aufmerksam machen, sonst wäre er mit Sicherheit von den Klippen gefallen. Kraark war nicht dabei. Der Rabe wollte noch eine Weile bei Syrda bleiben, um sich den Seewind um den Schnabel wehen zu lassen.
Jonas hatte Darinas Vorschlag beinahe widerwillig angenommen. Sie wollte nicht sogleich zum Muschelpalast zurückkehren, sondern zuerst noch einen Facettensprung unter die Hängenden Berge unternehmen.
In der Höhle der Flüsterer fasste Robert für die drei kurz die Ereignisse der vergangenen Stunden zusammen, bevor man sich wieder an den Kristallspiegel setzte. Er äußerte sich besorgt, dass die russischen Kapitäne anscheinend noch keine Umkehrbefehle erhalten hatten.
Um zehn Uhr an diesem Mittwoch, dem 24. Oktober, war die Seeblockade in Kraft getreten. Bevor das Exekutivkomitee wie jeden Morgen zusammentrat, fand eine private Unterredung zwischen dem Präsidenten und seinem Bruder statt.
»Es sieht schlimm aus, nicht wahr?«, fragte Jack besorgt. »Aber es hat ja wirklich keine andere Wahl gegeben. Wenn sie in dieser Sache so bösartig sind, in unserem Teil der Welt – was werden sie dann beim nächsten Anlass tun?«
Bobby antwortete: »Ich bin fest überzeugt davon, dass wir keine andere Wahl hatten, und nicht nur das, sondern wenn du nicht gehandelt hättest, wärest du als Präsident vertrauensunwürdig geworden.«
Jack sann einen Moment über das Gesagte nach, dann meinte er: »Das glaube ich auch.«
Die Männer des Exekutivkomitees waren wohl selten so angespannt gewesen wie an diesem Morgen. Die russischen Schiffe näherten sich mit unverminderter Geschwindigkeit. Man hatte das gesamte Vorgehen besprochen. Man wusste, was bei einem Einbruch in den Blockadering zu tun war. Aber man hatte keine Ahnung, wie der Gegner reagieren würde.
Auf der Insel gingen die Arbeiten an den Abschussrampen mit Hochdruck weiter, als habe es keine Fernsehansprache des Präsidenten gegeben. Am vergangenen Mittwoch hatten erstmals auch tief fliegende Aufklärer der Navy und Air Force vom Typ F-8U und RF-101 Kuba überflogen. Offenbar arbeitete man nun verstärkt an Bunkern zur Lagerung von Atomsprengköpfen. Mehrere Abschussrampen standen kurz vor der Fertigstellung.
Kurz nach zehn meldete Verteidigungsminister McNamara zwei gegnerische Schiffe: Die Gargarin und die Komiles waren nur noch wenige Seemeilen von der Blockadezone entfernt. Er schätzte, dass erste Maßnahmen noch vor zwölf, vielleicht sogar schon um elf eingeleitet werden müssten. Obwohl diese Meldung im Exekutivkomitee bereits für genügend Aufregung sorgte, traf von der Marine wenig später eine neue Hiobsbotschaft ein: Man hatte ein russisches U-Boot ausgemacht, das genau zwischen den beiden Schiffen Kurs hielt. Wollten sich die Sowjets mit Waffengewalt Zugang zu den kubanischen Gewässern verschaffen? Niemand konnte darauf eine Antwort geben.
McNamara ließ den Flugzeugträger Essex Position beziehen. Hubschrauber mit Anti-U-Boot-Ausrüstung wurden für den Einsatz vorbereitet. Wenn die Sonarsignale der Essex das russische Unterseeboot nicht zum Abdrehen bewegen konnten, würde man beim Kapitän zunächst mit Unterwasserbomben geringerer Sprengkraft anklopfen. Und wenn das nichts nützte…
Im Kriegsrat waren die Nerven zum Zerreißen gespannt. In Kennedys Gesicht spiegelten sich Zweifel. Stand die Welt am Rande der Vernichtung? Hatte er Fehler gemacht? Konnte er noch irgendetwas tun? Er hob die Hand vor den Mund, ballte die Faust, öffnete sie wieder… Sein Gesicht wirkte in diesem Moment um Jahre gealtert,
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