Das Echo der Flüsterer
stammte, sondern offenbar vom sowjetischen Außenministerium verfasst worden war. Der Ton war fordernder und deutlich kühler: »Wir werden unsere Raketen aus Kuba abziehen, Sie werden die Ihrigen aus der Türkei entfernen«, hieß es da kurz und knapp. Eindeutig, dies war nicht Chruschtschows Stil. »Die Sowjetunion wird sich verpflichten keine Invasion oder eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Türkei vorzunehmen; die Vereinigten Staaten geben die entsprechenden Zusicherungen hinsichtlich Kuba ab.« So klang jemand, der noch ein Ass im Ärmel hatte. Oder war alles nur Bluff?
Als Verteidigungsminister McNamara berichtete, dass die Russen auf Kuba nun Tag und Nacht arbeiteten, um alle Raketenrampen fertig zu stellen, glaubte niemand mehr an eine Täuschungsaktion. Das beinahe reumütige erste Schreiben Chruschtschows schien mit einem Mal nur noch Makulatur zu sein.
Einige äußerten die Vermutung, der unterschiedliche Tonfall der beiden Briefe sei ein Indiz für die Konfusion, die offenbar im Kreml herrschte.
»Dann nutz diese Verwirrung aus!«, flüsterte Ximon dem Bruder des Präsidenten zu. »Antworte einfach auf Chruschtschows ersten Brief und ignoriere den zweiten.« Robert Kennedy ließ nicht erkennen, ob er den Geistesblitz des Flüsterers mitbekommen hatte. Ximon versuchte es darauf bei Theodore Sorensen, doch auch der zeigte keine Reaktion. Der Flüsterer befürchtete schon, er könne nun gar nichts mehr ausrichten, weil sich offensichtlich im Weißen Haus ein ähnliches Durcheinander wie vorher schon im Kreml auszubreiten begann.
Zu allem Übel kam nun wieder Limmi in die Felsenkammer gerannt und gestikulierte wild mit den Armen. Als Ximon den Spiegel geschlossen hatte, rief er aufgebracht: »Die Kubaner haben ein amerikanisches Flugzeug abgeschossen!«
»Was?« Der Ausruf erschallte aus mehreren Kehlen gleichzeitig.
»Ganz ruhig, Limmi«, sagte Lischka. »Was habt ihr genau beobachtet?«
»Es kam von Quitus Gruppe. Ich soll euch sagen, dass die Kubaner eine SAM-Rakete auf ein amerikanisches U-2-Flugzeug abgeschossen haben.«
Einige Herzschläge lang herrschte absolute Stille in dem kleinen Höhlenraum. Robert fasste sich als Erster.
»Castros Saat ist schnell aufgegangen. Wir müssen sofort zur Sitzung des Exekutivkomitees zurück und vorsorglich auf den Präsidenten und seinen Bruder einwirken. Wenn es uns gelingt, ihnen die Konsequenzen einer übereilten Reaktion deutlich zu machen, dann können wir vielleicht noch das Schlimmste verhindern.«
Wenige Augenblicke später erschien im Spiegel wieder der Kriegsrat des amerikanischen Präsidenten. Robert flüsterte sogleich beruhigend auf seinen Namensvetter, Jacks Bruder, ein. Danach wisperte er dem Präsidenten selbst einige mahnende Worte in den Sinn. Ein- oder zweimal huschte ein nachdenklicher Ausdruck über die Gesichter der Männer. Hoffentlich ein gutes Zeichen, dachte Jonas.
Während noch die Stabschefs den Präsidenten von der Notwendigkeit eines Luftschlages gegen Kuba und einer anschließenden Invasion der Insel zu überzeugen suchten, traf die Nachricht ein, die alle zutiefst erschütterte.
Major Rudolf Anderson jr. war tot.
Die Kubaner hatten seine U-2 mit einer Boden-Luft-Rakete abgeschossen. Er gehörte zu jenen Piloten, deren Bilder vor gerade anderthalb Wochen dem Präsidenten und dem Exekutivkomitee die Existenz der kubanischen Raketenstellungen bewiesen hatten.
»Wie können wir weiter U-2-Piloten über dieses Gebiet fliegen lassen, wenn wir nicht vorher alle SAM-Stellungen ausschalten?«, fragte der Präsident. Und er war erstaunlich gefasst, als er hinzufügte: »Jetzt beginnt eine neue Phase.«
Als Chruschtschow die Nachricht vom Abschuss der U-2 über Kuba erfuhr, überfiel ihn erneut die Kriegsfurcht. Irgendwo habe es einen Fehler in der Kommandokette gegeben, sagte man ihm, Castro übernähme die volle Verantwortung für den Vorfall. Den Kremlchef beruhigte das wenig.
»Die Amerikaner werden deshalb keinen Krieg anfangen«, sagte Verteidigungsminister Rodion Malinowski.
»Woher wollen Sie das wissen?«, fragte Chruschtschow.
»Dieser Major Anderson ist nur ein Mann. Deshalb fängt man keinen Krieg an, bei dem Millionen umkommen können.«
»Haben Sie schon vergessen, was passierte, als der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand in Sarajevo erschossen wurde?«
»Ich glaube nicht, dass wir den Ersten Weltkrieg und seine Ursachen mit der aktuellen Krise vergleichen können«, wandte Wassili
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