Das Echo der Flüsterer
äußerte er freimütig, was den Krieg in seinen Augen so besonders grauenhaft machte: Es war, wie er sagte, »der Gedanke an den Tod der Kinder in unserem Land und auf der ganzen Welt – dieser Jungen, die politisch keine Rolle spielen, die noch nichts von dem Konflikt wissen und deren Leben doch ausgelöscht werden soll wie das der Erwachsenen«.
Um keine Möglichkeit für eine schnelle Lösung der Krise ungenutzt zu lassen, einigten sich die Männer darauf, parallel zum Antwortschreiben mündlichen Kontakt mit Sowjetbotschafter Dobrynin aufzunehmen. Bobby sollte dem Russen klarmachen, dass ein Abzug der Raketen unbedingt erforderlich sei, andernfalls würden sich Militäraktionen gegen Kuba nicht mehr verhindern lassen. Sollten die Sowjets ihre Waffen entfernen, seien die Vereinigten Staaten bereit von einer Invasion Kubas abzusehen. Auch einen schnellen Abzug der Jupiter-Raketen aus der Türkei wollte man in Aussicht stellen, ohne sich jedoch schriftlich dazu zu verpflichten.
Lischka rief noch einmal Chruschtschow auf den Spiegel. Die Atmosphäre in seiner Datscha war weiterhin angespannt. Dreiundzwanzig Kremlfunktionäre, einschließlich der Mitglieder des Präsidiums und des Sekretariats, rangen um eine Strategie, um die drohende amerikanische Invasion auf Kuba möglichst ohne Gesichtsverlust abzuwenden.
Weil in Nowo Ogarewo für die Flüsterer kaum Handlungsbedarf bestand, übergab Lischka den Spiegel wieder an Robert.
Präsident Kennedy begrüßte gerade seinen Bruder, der sich zuvor mit dem Sowjetbotschafter Dobrynin im Justizministerium getroffen hatte. Beide waren nicht gerade optimistisch. Sie erwarteten sogar eine militärische Konfrontation für Dienstag, »vielleicht auch schon für morgen«, wie Jack sagte.
Voll unguter Gefühle verließ Jonas in der Nacht die Höhle der Flüsterer. Wie oft hatte Kennedy oder einer der beteiligten Männer das Gespenst des Krieges an die Wand gemalt? Wie oft war die Rede von nur wenigen Stunden gewesen? Der nächste Tag, das wusste er, würde eine wichtige Entscheidung bringen. Die zerstrittenen Parteien standen schon mit den Zehenspitzen über dem Abgrund.
Sonntag
28
Oktober
McGeorge Bundy wirkte erstaunlich gelassen. Obwohl es Sonntagmorgen war und er in seinem Büro saß. Auf seinem Schreibtisch lag ein Notizzettel mit einer Telefonnummer. Der Justizminister, Robert Kennedy, sei im Notfall im Washingtoner Zeughaus-Areal zu erreichen. Er sehe dort mit seinen Töchtern einem Springturnier zu.
Wie wohl auch der Sicherheitsberater des Präsidenten, glaubte Jonas in dieser Freizeitaktivität Bobbys ein gutes Zeichen zu erkennen. Wenn er schon wieder den Pferden dabei zuschauen kann, wie sie Hindernisse umrennen, dann müssen ihm die größeren Hürden in der Welt wohl nicht mehr ganz so unüberwindlich erscheinen.
Jonas selbst war am frühen Morgen mit einem eher flauen Gefühl erwacht. Er hatte höchstens zwei Stunden geschlafen. Darina war es nicht besser ergangen.
»Im Weißen Haus ist alles ruhig. Der Präsident bereitet sich auf eine neue Fernsehansprache vor«, begrüßte Ximon sie in der Felsenkammer. Jonas fragte sich, wie die Flüsterer nur mit so wenig Schlaf auskamen.
»Was will Kennedy denn heute seinem Volk erzählen?«, erkundigte er sich.
»Er wiederholt nur seine Rede vom vergangenen Montag«, antwortete Ximon mit einem Schulterzucken.
»Lasst uns mal nachsehen, was Chruschtschow und seine dreiundzwanzig Mitstreiter machen«, schlug Lischka vor. »Mich interessiert, ob sie vielleicht über ihren Krisenplänen eingenickt sind.«
Sie waren es nicht. Als das Bild des Kremlchefs und seiner Berater im Spiegel erschien, ging gerade eine letzte große Panikwelle über die Datscha in Nowo Ogarewo hinweg. Nach wenigen Minuten war klar, worin der Grund für die Aufregung bestand.
Chruschtschow hatte von einer geplanten weiteren Fernsehansprache Kennedys gehört. Er befürchtete, der amerikanische Präsident werde seiner Nation am Mittag die Invasion Kubas ankündigen. Mit Erstaunen und Erleichterung hörte Jonas den Kremlchef ausrufen: »Geben Sie ihnen, was sie wollen. Wir ziehen unsere Raketen ab.«
»Aber Genosse Generalsekretär!«, wollte sein Verteidigungsminister, Marschall Rodion Malinowski, widersprechen, doch Chruschtschow schnitt ihm sogleich das Wort ab.
»Aus! Keine Spielchen mehr. Wir werden uns bei dieser avantjura alle den Hals brechen, wenn wir noch weiter zögern. Bereiten Sie umgehend eine klare Antwort auf Kennedys
Weitere Kostenlose Bücher