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Das Echo der Flüsterer

Titel: Das Echo der Flüsterer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Graue Palast musste älter sein als Kanthelm. Aus einem fernen Winkel ihres Gedächtnisses stieg eine unklare Erinnerung auf. »Unter dem Thron! Dort müssen wir nachsehen.«
    Sie rannten zu dem massiven Obsidianblock zurück. Bergalf schüttelte den Kopf. »Unmöglich, das Ding von der Stelle zu rücken.«
    »Du hast es doch noch gar nicht probiert«, erwiderte Darina und stemmte sich gegen den schwarzen Steinthron.
    Er rührte sich nicht vom Fleck.
    Jonas legte den Spiegel auf den Fußboden, um Darina zu
    helfen. Auch Bergalf legte mit Hand an. Zu dritt schoben sie mit aller Kraft. Und plötzlich bewegte sich der Thron. Bergalf wollte es zuerst gar nicht glauben. »Das ist doch…«
    »Ein raffinierter Mechanismus«, vollendete Jonas den Satz.
    Unter dem Thron befand sich eine Treppe. Bergalf zog eines der Bonka-Feuerzeuge aus der Tasche und entfachte die Flamme.
    »Bin gespannt, wohin dieser Tunnel führt.« Jonas hob schnell wieder den Goldrahmen vom Boden auf und folgte Bergalf und Darina.
    Der Gang unter dem Amtssaal des Palastes war aus großen Steinquadern gemauert. Im unruhigen Licht von Bergalfs Behelfsfackel hasteten die drei Spiegeldiebe die Treppe hinab und dann weiter in den Gang hinein. Sie stießen auf mehrere Abzweigungen, aber Darina lotste ihre Gefährten durch den breiteren Haupttunnel. Endlich erreichten sie eine Treppe, die nach oben führte. Bergalf wollte gerade hinaufstürmen, als ihn Jonas zurückhielt.
    »Halt! Was ist, wenn da oben ebenfalls Wachen sind?«
    »Du hast Recht. Wir müssen uns wieder tarnen.«
    »Ich denke, die Kanthelm-Maske dürfte für diesen Anlass genau das Richtige sein«, sagte Jonas grinsend. Er dachte kurz an den Malkit.
    »Jonas!«, keuchte Darina. Sie hatte diese spezielle Verwandlung zum ersten Mal miterlebt. »Entschuldigung. Ich wollte dich nicht erschrecken.«
    »Schon gut. Geh jetzt. Ich bleibe direkt hinter Bergalf.«
    »Meine Tarnung kann uns beide decken«, sagte der Fährtensucher. »Aber lass Jonas und mich erst nachsehen, ob uns oben nicht irgendeine unangenehme Überraschung erwartet. Pass solange auf den Spiegel auf.«
    Gemeinsam stiegen sie die Treppe hinauf. Oben stießen sie auf eine Tür. Jonas – in der Maske Kanthelms – drehte sich noch einmal um. Sein Schatten sagte: »Nun mach schon, wir haben nicht ewig Zeit.«
    Jonas bedeutete Darina etwas zurückzubleiben, dann schob er einen Riegel zurück und ließ die Tür langsam aufschwingen. Sie knarrte verräterisch. Durch den Rahmen blickte er in ein großes Zimmer, das nur schwach beleuchtet war. Die Quelle des Lichts konnte er im Rechteck der Türeinfassung nicht ausmachen. Auf dem Fußboden des Raumes lagen dicke Teppiche. Rechter Hand stand ein Himmelbett. Einer der ringsum angebrachten Vorhänge war zurückgezogen. Jonas’ Blick fiel auf zerwühltes Bettzeug. Eine böse Ahnung stieg in ihm auf.
    Vorsichtig trat er in den Raum und sah sich um. Das Zimmer wirkte wie gerade verlassen. Jonas spürte die Gegenwart einer Person. Eben wollte er sich umwenden und Darina warnen, als er eine eisige Stimme hörte.
    »Wer bist du, dass du es wagst, hier bei mir einzudringen?«
    Jonas erkannte den schneidenden Tonfall sogleich wieder. Obwohl sein Herz vor Angst hämmerte, bewahrte er äußerlich Ruhe. Er durfte das Bild in seinem Kopf nicht verlieren, sonst war seine Tarnung dahin. Langsam trat er in den Lichtkreis einer kugelförmigen Nachttischlampe und entdeckte einen undeutlichen Schemen hinter einem der Vorhänge des Himmelbetts.
    »Warum zeigst du dich nicht, so wie ich?«, antwortete Jonas mit verstellter Stimme.
    Der Vorhang teilte sich langsam in der Mitte. Zum Vorschein kam ein einäugiger Malkit mit Narbengesicht.
    »Großer Kristall, wer bist du?«, keuchte Kanthelm, als er sein eigenes Antlitz erkannte, unversehrt, wie es einmal gewesen war, bevor…
    »Ich kann mir nicht vorstellen, dass du mich nicht kennst«, erwiderte Jonas kühl. Er musste unbedingt Zeit gewinnen. Warum tat Bergalf denn nichts?
    Kanthelms verbliebenes Auge stierte das eigene Ebenbild ungläubig an. Aber dann wich der Ausdruck der Verwunderung aus dem entstellten Gesicht, zurück blieb ein boshaftes Lächeln.
    »Du verstehst es, mit dem Licht zu spielen, Fremder«, sagte der Malkit bedrohlich ruhig. »Vermutlich bist du ein Bilmträger.«
    Kanthelms linker Arm bewegte sich hinter dem hauchdünnen Vorhang. Der Malkit führte irgendetwas im Schilde. Es fiel Jonas immer schwerer, seine Tarnung aufrechtzuerhalten. Um Kanthelm

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