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Das Echo der Flüsterer

Titel: Das Echo der Flüsterer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Jonas das mysteriöse Verschwinden seiner Eltern erwähnte.
    Jonas war der Ernst, mit dem Kraark seinem Bericht folgte, durchaus nicht entgangen. Gerade wollte er fragen, warum sich ein azonischer Kolkrabe so für zwei amerikanische Diplomaten und ihre Geheimmission interessierte, als Kraarks Stimme ihm den Gedankenfaden abschnitt.
    »Da unten liegt Laomar, die Farbenstadt.«
    Jonas’ Blick folgte dem nach vorn gereckten Schnabel des Raben. Der Weg schlängelte sich in weichen Kurven den Hang hinab, bis er in einer Senke erneut anzusteigen begann. Hinter der nächsten Hügelkuppe leuchtete ein vielfarbiges Licht.
    Als er zu laufen begann, erhob sich der Rabe erschreckt in die Luft. Jonas hatte schon oft Ortschaften bei Nacht gesehen – in der Regel setzten sie sich aus vielen gelben Punkten zusammen, nett anzusehen, aber auch nicht mehr. Er rannte den Hügel hinab und nahm den Aufstieg zum nächsten in Angriff. Was er da eben gesehen hatte, war einfach unbeschreiblich! Bald erreichte er die Anhöhe, wo im Gras sitzend schon Kraark auf ihn wartete, und blieb stehen. Atemlos und mit Tränen in den Augen – war es die Anstrengung oder der Anblick der Stadt? – blickte er auf das Lichtermeer hinab.
    Jonas musste unweigerlich an das Prisma denken, von dem Kraark an diesem Tage schon so oft gesprochen hatte. Das ganze Spektrum des Regenbogens war im Tal zu seinen Füßen ausgebreitet. Tausende von leuchtenden Tupfen in zarten Pastellfarben von Rot über Grün, Violett, Gelb, Orange bis…
    »Es ist kein Blau dabei«, stellte Jonas überrascht fest.
    »Wundert dich das?«, antwortete Kraark.
    Jonas sah zum Himmel empor. »Nein. Eigentlich nicht. Blau habt ihr hier wirklich genug. Wie kommt es, dass die Stadt so bunt ist?«
    »Am besten siehst du es dir selbst an, dann wirst du es verstehen.«
    Die Müdigkeit in Jonas’ Gliedern war mit einem Mal wie weggeblasen. Er war so aufgeregt, dass er sogar seine Kopfschmerzen vergaß. Mit schnellen Schritten eilte er den Hügel hinab. Kraark musste seine Flügel zu Hilfe nehmen, um ihm folgen zu können. Die Straße wurde nun breiter, vereinzelt säumten Felder den Weg. Hier und da sah Jonas auch Koppeln, in denen sich dunkle Schemen befanden. Von der Größe her konnten es Schafe sein, aber irgendwie hatte er das Gefühl, mit dieser Einschätzung falsch zu liegen.
    »Was ist das denn?«, fragte er Kraark.
    »Schelpins.«
    »Hätte ich mir denken können.«
    »Schelpins sind Haustiere wie Schafe, Ziegen oder Kühe. In deiner Welt gibt es diese nützlichen Gesellen nicht. Ich nehme an, der Kristall hat einfach Schafe, Wölfe und wilde Ziegen zusammengewürfelt, ihnen das Euter einer Kuh verpasst und sie dann in Azon auf eine Wiese gestellt, damit das Kleine Volk sie abholen kann.«
    »Ich würde sie gern einmal bei Tag sehen.«
    »Dazu wirst du noch ausreichend Gelegenheit haben.«
    »Du erzähltest vorhin von einer Wölfin. Ich kann nirgendwo einen Hirten entdecken. Haben die Einwohner hier keine Angst, die Wölfe könnten ihre Schelpins rauben?«
    Kraark kicherte, ein seltsames Schnarren und Knarren, tief aus seiner Kehle. »Es verirrt sich nur selten ein Wolfsrudel in diese Gegend. Aus gutem Grund! Die Schelpins würden Hackfleisch aus ihnen machen.«
    Jonas blickte mit Unbehagen zu den dunklen Flecken auf der Wiese hinüber. »Wie meinst du das?«
    »Nun, wie ich schon sagte, diese Haustiere gleichen nur bedingt Schafen. Sie geben wirklich wilde Kämpfer ab: Die Schelpins besitzen ein messerscharfes Gebiss und zwei äußerst spitze Hörner. Außerdem gehen sie stets mit der ganzen Herde gegen einen Angreifer vor. So zahm sie auch sind, wenn man sie in Ruhe lässt, so gefährlich können sie sein, wenn man sie reizt.«
    »Ich hoffe, sie halten uns nicht für eine Bedrohung.«
    »Keine Angst, Jonas, die Schelpins haben ein sehr feines Gespür dafür, wem sie trauen können und wem nicht. Dich würden sie nie angreifen.«
    »Wirklich?«
    Kraark erhob sich unvermittelt in die Luft und ließ sich auf Jonas’ Schulter nieder. Mit erstaunlich sanfter Stimme sagte er: »Du bist ein Freund der Tiere.«
    »Aber…« Jonas wusste nicht, was er sagen sollte.
    »Ich habe es sofort gemerkt, noch bevor du in Ohnmacht gefallen bist.«
    »Wie…?«
    »Ich saß auf einem Ast der Buche, als du angetorkelt kamst. Mir ist sogleich klar gewesen, dass du kein gewöhnlicher Mensch bist, Jonas.«
    Zum Glück war es dunkel, Jonas merkte nämlich, wie er rot wurde. »Ich mag Tiere sehr«, sagte er

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