Das Echo der Flüsterer
des Kristalls aufgespannt«, begann er in feierlichem Ton. »Das war zu einer Zeit, als ein hässlicher Streit unter dem Kleinen Volk ausgebrochen war. Es kam zu großem Blutvergießen und schließlich zu einer Spaltung in zwei Parteien: den Bonkas und den Malkits. Die Legenden sind nicht sehr verlässlich, was die Ereignisse von damals betrifft, aber es heißt, Schamakh der Weber habe aus haarfeinen Fasern des Kristalls einen Schleier gewoben, einen Vorhang, so fein wie blaues Licht. Seit dieser Zeit trennt und beschützt uns Kimbaroth. Eigentlich ist heute nicht einmal mehr bekannt, wo genau sich dieser Vorhang befindet. Aber selbst wenn man es wüsste: Niemand könnte zwischen dem Land der Bonkas und jenem der Malkits wechseln, ohne ihn zu zerreißen. Der Sage nach würden daraufhin die Hängenden Berge einstürzen.«
Die Erwähnung des Kopf stehenden Gebirges jagte Jonas einen Schauer über den Rücken. »Kein Wunder, dass damit eine Rückkehr unmöglich wäre.«
»Merkwürdig, dass du diese Geschichte noch nicht gehört hast.« Goldan musterte Jonas so intensiv, dass dieser nach kurzer Zeit zu Boden blickte.
In diesem Moment betraten Rinka und ihre Tochter das Zimmer. Im Nu war der Tisch mit Käse, duftendem Brot und allerlei Früchten bedeckt. Tomika schüttete aus einem Krug grünlichen Saft in bereitstehende irdene Becher, allerdings nicht ohne dabei auf der Tafel die eine oder andere Pfütze zu hinterlassen. Alles ging sehr schnell vor sich, Rinka verlor keine Zeit.
Als Jonas nur noch die Finger ausstrecken musste, um seinen Hunger und Durst zu stillen, setzte sich Goldans Frau an die Seite ihres Gatten, nahm dessen Hand in die ihrige und seufzte: »Wie schön, wieder einmal einen Gast zu haben! Wie war das doch gleich mit deinen Eltern, Jonas McKenelley? Lass dir ruhig Zeit mit deiner Geschichte. Wir hören dir gerne zu.«
»Oh bitte, sagt Jonas zu mir«, hüstelte dieser verlegen und überlegte, wie er wohl am besten begann. Er hatte einen Löwenhunger! Vielleicht genügte ja die Kurzversion anstelle des ausführlichen Berichts, den er gerade erst Kraark erzählt hatte. Seine Hand näherte sich der Obstschale, blieb einen Augenblick unschlüssig darüber hängen und attackierte dann zielsicher eine Feige. »Als ich heute früh aus dem Fenster meines Zimmers kletterte«, begann Jonas in Vorfreude auf den süßen Gaumenschmaus, »hätte ich mir wirklich nicht träumen lassen, dass ich am Abend in einer unbekannten Welt speisen…«
Weiter kam er nicht. Kurz bevor die Feige seine Lippen erreichte, hielt Goldan mit festem Griff seine Hand zurück.
»Was sagst du da? Du bist erst heute nach Azon gekommen?«
»Ja«, antwortete Jonas verwundert. Er war sich keiner Schuld bewusst, obwohl sich sein Gastgeber auf einmal so verhielt, als hätte er etwas verbrochen.
»Wir müssen sofort Belkan und die anderen davon unterrichten«, sagte Rinka zu ihrem Mann.
»Ja, ich denke, das sollten wir.«
»Wird er uns wehtun?«, fragte Tomika besorgt dazwischen.
»Mach dir keine Sorgen, mein Schatz. Er ist bestimmt auf der richtigen Seite herübergekommen.«
»Kann mir vielleicht irgendjemand verraten, worum es hier überhaupt geht?«
Jonas’ Worte brachten die unvermittelt ausgebrochene Betriebsamkeit jäh zum Erliegen. Die drei Bonkas schauten ihn aus großen Augen an. Nach geraumer Zeit stahl sich ein kleines Lächeln auf Goldans Gesicht.
»Die wenigen Wanderer hier auf Azon leben meist sehr zurückgezogen. Wir bekommen sie nur selten zu Gesicht. Als ich dich vor dem Haus entdeckte, hielt ich dich zuerst für einen von ihnen und vermutete, du seist nur wegen einiger Besorgungen in die Stadt gekommen. Aber ich konnte ja nicht ahnen, dass du wirklich ein neuer Wanderer bist, Jonas McKenelley!«
»Was ist das überhaupt, ein Wanderer? Du sprichst doch nicht von einem gewöhnlichen Spaziergänger, oder?«
»Diesen Namen geben wir all denjenigen, die der Kristall hindurchgelassen hat, die zwischen den Welten wandern.«
»Du meinst Menschen von der Erde?«
»Manchmal sind es auch Tiere.«
»Natürlich.« Wo nur Kraark blieb! Warum hatte er ihn auf dieses Erlebnis nicht vorbereitet? »Und warum hat deine Tochter Angst vor mir?«
Goldan schaute unsicher zu Boden. Die Situation war ihm sichtlich unangenehm. Endlich hob er wieder den Blick und antwortete: »Ich glaube, es wird das Beste sein, zunächst die Ältesten zusammenzurufen. Sie können dir alles erklären. Und sie werden begierig sein deine Geschichte zu
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