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Das Echo der Flüsterer

Titel: Das Echo der Flüsterer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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empfindsamer als die meisten ihrer Mitmenschen war.
    Eine Woge unterschiedlichster Gefühle rollte über Robert hinweg. Doch tief in ihm arbeitete noch immer sein klarer, analytischer Verstand. Während die B-24 auf das Auge des Mahlstroms zuraste, sagte ihm dieser Rest seines Urteilsvermögens, dass nun gleich alles vorbei sein würde.
    Das Bild des kleinen Jonas erschien noch einmal vor seinem geistigen Auge, er hörte sein vergnügtes Quietschen, nahm seinen angenehmen Geruch wahr. Robert drückte Sarah fest an sich und blickte in ihr Gesicht. Sie schaute zu ihm auf und lächelte. Er war froh sie so ohne Todesangst zu sehen, zu spüren, wie ihr Herz schlug. Wie sehr er sie liebte! Er wäre gern länger mit ihr durchs Leben gegangen.
    Und dennoch war er glücklich gerade jetzt, gerade in diesem Augenblick bei ihr zu sein…
    Aus der Ferne sah das winzige Flugzeug wie ein zur Erde gefallener Stern aus, als ein letzter Sonnenstrahl seine silberne Hülle streifte. Dann sackte die B-24 unter das Niveau des Meeresspiegels und verlor jeden Auftrieb. Zuerst neigte sich ihr Bug nach vorn und bald trudelte sie nur noch wie ein welkes Blatt immer tiefer in das Herz des Mahlstroms hinab. Unnatürlich langsam sank sie in die Tiefe, wurde immer kleiner, bis ihr Bild in einem blauen Glühen verging.

 
     
     
     
    Z · W · E · I · T · E
    F · A · C · E · T · T · E
     
     
     
    DIE FLUCHT

 
    DAS MEER AUS GRAS
     
     
     
    Das Zirpen der Grillen erstarb so plötzlich, dass Jonas erschrak. Er blieb sofort stehen, lauschte in die fast greifbare Stille hinein. Alle seine Sinne waren angespannt.
    Jonas kannte die Bewohner des Sumpfes wie nur wenige in den Everglades. Wenn der Herzschlag dieses geheimnisvollen Landes für einen Moment aussetzte, dann bedeutete das nichts Gutes. Es gab da eine Gefahr, eine lautlose Bedrohung, welche selbst die Grillenmännchen, die sonst so schnell nichts aus der Ruhe bringen konnte, hatte innehalten lassen.
    Die Stille schien vollkommen. Der Himmel schimmerte grau durch die Pinien – bald würde die Sonne aufgehen. Dann hörte er es. Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Für einen Moment hatte Jonas geglaubt wieder das Flüstern zu vernehmen, jenes Rufen, das ihn erst dazu getrieben hatte, seinen langsam gereiften Entschluss endlich in die Tat umzusetzen und von zu Hause wegzulaufen. Aber dieses Flüstern war anders.
    Jemand, der nicht so vertraut mit den Everglades gewesen wäre – ein x-beliebiger Tourist vielleicht –, hätte das Geräusch möglicherweise für das Rascheln von Zweigen in einer auffrischenden Brise gehalten, aber Jonas wusste es besser. Er war hier aufgewachsen. In einem Umkreis von fünf Meilen kannte er jeden Baum, jede der schwimmenden Inseln, wusste, wohin man noch den Fuß setzen konnte, ohne einzusinken, und wo sogar die flachen Airboats sich so gründlich festfuhren, dass auch ihre großen Flugzeugpropeller ihnen nichts mehr nutzten. Das Flüstern passte nicht hierher. Es war fremd – und feindselig.
    Die Grillen nahmen ihren Balzgesang wieder auf, doch Jonas bewegte sich noch immer nicht. Sein Geist begann das Flüstern zu analysieren und mit einem Mal verstand er dessen Zweck. Es hatte wie ein Befehl geklungen, das Kommando eines Jägers, der seine Treiber in eine bestimmte Richtung dirigiert, damit sie ihm das Wild zuscheuchen.
    In diesem Moment hörte er ein Krachen, das ihn erneut zusammenfahren ließ. Dann waren auch Stimmen zu vernehmen. Wilddiebe! Ja, so musste es sein. Alligatoren Jäger, die sich in der Zeit vor dem Morgengrauen in die Sümpfe schlichen, um die Panzerechsen ihrer kostbaren Haut zu berauben.
    Jonas’ Verstand begann angestrengt zu arbeiten. Diese plötzliche Wendung der Dinge konnte für ihn unangenehme Folgen haben. Er war von zu Hause ausgerückt – aber er hatte Großvater einen Brief hinterlassen. Vielleicht hatte der ihm die Männer nachgeschickt? Nein, Jonas verwarf diesen Gedanken wieder. Großvater würde in seinen Pick-up steigen und die Straße nach Florida City absuchen (deshalb hatte Jonas ja den Weg durch die Sümpfe gewählt). Den Sumpfbesuchern, die sich bisher nur durch ihren Lärm bemerkbar gemacht hatten, stand der Sinn mit Sicherheit nach etwas anderem als nach einer Verfolgungsjagd auf einen fünfzehnjährigen Jungen: Sie waren unterwegs, weil sie etwas Verbotenes im Schilde führten. Sie kamen des Geldes wegen, waren hier, um zu töten.
    Plötzlich erkannte Jonas, in welcher Gefahr er schwebte. Der alte Tom

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