Das Echo der Lüge - Miller, S: Echo der Lüge
flog ich in meine Heimat zurück.
Die Einsamkeit meiner stillen Wohnung. Alles hier war von mir, jedes Detail hatte ich ausgesucht, eingerichtet, diese Wohnung war so sehr ich, wie es ein Ort, wie es Gegenstände sein können. Dennoch kam mir das Apartment an diesem dunstigen Augusttag frostig und verlassen vor. Der Grund war klar: Pascal hatte diese beengten zwei Zimmer als sein Zuhause angesehen. Er, der sich die schicksten Apartments, die weitläufigsten Häuser leisten konnte, der mich auf unseren Reisen mit Luxus verwöhnt hatte, war während unserer Ehe am liebsten hier gewesen, in meiner kleinen Wohnung an der South Side von Toronto. Nicht die feinste Gegend, der Vorteil lag in der Nähe zum Wasser; in nur fünf Minuten gelangte man ans Ufer des Ontariosees.
Unsere zeitlosen Gänge, wie Pascal sie nannte, hatte ich bei jedem Wetter genossen. Das waren Tage gewesen, wenn er die Fessel seines Zeitplans abstreifte und wir scheinbar unabsehbar nur einander gehörten. Ich hatte unsere Wanderungen im Herbst geliebt, wenn der See, der wegen seiner Größe Gezeiten hat, wild und stürmisch wurde und Treibgut aus den Vereinigten Staaten, manchmal Abfall von Containerschiffen anschwemmte. Oder im Frühling, wenn die Menschen sich nach dem harten kanadischen Winter endlich aus ihren Anoraks schälten und die ersten Mutigen bis zu den Knien ins Wasser gingen. Selbst im Sommer schwamm kaum jemand im See; seit dem Giftskandal vor Jahrzehnten galt das Baden als riskant. Das störte die Schwäne und Möwen, die Haubentaucher und sonstigen Vögel nicht. Außer halb der Stadt waren lang gestreckte Uferbereiche in Vogelschutz gebiete umgewandelt worden.
Wenn Pascal und ich nach stundenlangem Marsch hungrig in die Wohnung zurückkehrten, ich zu kochen begann, wenn er Musik aussuchte und mich am Herd von hinten umarmte, hätte mein Glück nicht größer sein können. In diesen Momenten glaubte ich daran, eine wirkliche Ehe zu führen, was durch Pascals Lebensstil leider selten vorkam. Zu oft rissen ihn seine Geschäfte von mir fort, sodass ich manchmal gar nicht wusste, an welchem Punkt der Erde er sich gerade aufhielt. Manchmal bot er mir an, ihn zu begleiten, meistens lehnte ich ab. Doch Pascal spürte jedes Mal, wenn er mich zu lange vernachlässigt hatte. Genau zum rechten Zeitpunkt lagen dann Flugtickets auf dem Küchentisch, die uns an Orte entführten, von denen ich sonst nur träumte. Das bedeutete allerdings, dass ich mich ausnahmslos nach Pascals Zeitplan richtete. Als freiberufliche Überset zerin war ich flexibel, dennoch begann es mich irgendwann zu stören, dass ich ein Leben auf Abruf führte. Meine Freundin Karen und ich sprachen darüber; meistens stellte sie sich auf Pascals Seite.
»Wäre dir ein Stubenhocker lieber, der beruflich nichts auf die Reihe kriegt? Oder ein treu sorgender Angestellter, der pünktlich um sechs Uhr abends am Familientisch sitzt? Man kann leider nicht beides haben, den Power-Player und den Rund-um-die-Uhr-Mann. Wenn Pascal in Toronto ist, ist er für dich da, er ist aufmerksam und liebevoll. Das ist mehr, als die meisten Frauen bekommen.«
Ich glaubte Karen, deren Beziehung das glatte Gegenbeispiel darstellte. Ihr Mann war ein graugesichtiger Vertriebsmensch aus dem Verlag, der wenig Ehrgeiz und keine Abenteuerlust kannte. Pascal hätte so nicht leben können.
Nun stand ich in meinen vier Wänden, für immer ohne ihn? Ich ließ den Koffer beim Eingang, warf die Tasche aufs Sofa und öffnete die Fenster. Ich hatte den Impuls, Karen anzurufen, wollte ihr aber nicht gleich etwas vorheulen und beschloss, erst ein wenig Ordnung in die neue Situation zu bringen. Ohne ausgepackt zu haben, lief ich zu meinem Auto und fuhr zum Supermarkt. Ich kaufte ein, als ob ich Monate in Toronto bleiben würde, dabei war das alles andere als klar. Schwer bepackt nach Hause zurückgekehrt, wollte ich etwas gegen meine Aufgedrehtheit tun, die vom Jetlag herrührte. Ich nahm ein Bad. In einer Steinwanne im Freien hatten Pascal und ich uns zum ersten Mal geliebt; meine Badewanne, umgeben von bunt gekachelten Wänden, war unser Allerheiligstes gewesen, hier hatten wir die Außenwelt weggeschaltet.
Zu Beginn unserer Beziehung liebten wir uns ständig. Kaum hatte Pascal die Tür hinter sich geschlossen, lagen unsere Kleider schon am Boden, das Wasser rauschte in die Wanne, wir hatten uns ineinander verloren. Manchmal beschlich mich das Gefühl, Pascal würde bloß ein Sexabenteuer in unserer Beziehung sehen,
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