Das Echo der Schuld
stürmisch.«
»Hm.« Er trat noch dichter an sie heran, beugte sich hinab, vergrub seine Nase an ihrem Hals. »Du riechst wunderbar. Nach Meer. Nach Wind. Nach allem, was ich liebe.«
Sie schaute ihn an. Sie wusste, dass ihre Augen idiotischerweise verklärt leuchteten, aber sie konnte es nicht ändern. Er lächelte schon wieder. In seinem Lächeln konnte sie erkennen, dass er um seine Wirkung auf sie genau wusste.
»Irgendwie«, sagte er, »habe ich nicht so große Lust, heute Abend schon wieder eine Konserve aufzumachen und in das immer gleiche Kaminfeuer zu blicken. Wie wäre es, wenn wir in ein Pub gingen? Ich habe riesigen Appetit auf Bohnen, Lammkoteletts und ein dunkles Bier!«
Sie erschrak. »Ich glaube, ich habe hier auch eine Dose Bohnen«, sagte sie hastig und machte schon einen Schritt in Richtung Küche. Nathan hielt sie am Arm fest.
»Darum geht es doch gar nicht. Ich möchte mit dir ausgehen.«
»Das ist kaum die richtige Jahreszeit zum Ausgehen auf Skye. Außerhalb der Saison haben die meisten Pubs hier geschlossen.«
»Also wirklich, Virginia! Als ob die Menschen auf Skye auch nur einen Tag ohne ihre Pubs, ihren Whisky und ihre Musik auskämen! Es haben genügend Kneipen geöffnet. In Portree kenne ich ein paar. Wie wäre es mit dem Portree House? Da gibt es übrigens auch fantastischen Fisch!«
Sie seufzte. Er war doch sonst so feinfühlig. »Ich finde das einfach keine gute Idee«, meinte sie unglücklich.
Er lächelte nun nicht mehr. »Aha«, sagte er, »ich werde versteckt, nicht wahr? Mit mir kann man an einsamen Stränden entlangspazieren, daheim am Kamin sitzen oder hinter fest verschlossenen Türen stundenlang vögeln, aber nach draußen soll möglichst nichts dringen. Man würde uns sehen, wenn wir irgendwo essen gehen. Du bist bekannt auf der Insel. Es würde Gerede und Getuschel geben. Stimmt's?«
Langsam streifte sie ihre Jacke ab, hängte sie über eine Stuhllehne. Ihr Gesicht glühte. »Nathan, es geht doch nicht darum, dass ich dich auf Dauer verstecken will. Oder unsere Beziehung. Im Gegenteil. Aber müssen wir das Frederic antun? Zu diesem Zeitpunkt? Hier auf der Insel? Es ist sein Haus. Er wird immer wieder herkommen. Die Leute wissen, dass ich noch im August hier mit ihm die Ferien verbracht habe. Es ist gerade Anfang September, und schon bin ich mit einem anderen Mann hier. Müssen wir ihn so bloßstellen?«
Er zuckte die Schultern. »Du bist sehr besorgt um ihn.«
»Er hat mir doch nichts getan. Es gibt absolut nichts, was ich ihm vorwerfen könnte. Ich tue ihm schon so sehr weh. Muss ich es noch schlimmer machen, indem ich ihn auf Jahre dem Getuschel der Menschen auf Skye aussetze?«
Er war verärgert, aber sie hatte den Eindruck, dass es ihm nicht wirklich darum ging, unbedingt in einem Restaurant zu essen. Das Ganze war eher eine Machtprobe. Er verlor sie, und das machte ihn wütend.
Besänftigend strich sie über seinen Arm. »He«, sagte sie leise, »lass uns nicht streiten, okay? Lass uns ein Glas Wein trinken und dann …«
Er schüttelte ihre Hand ab. »Auf dem Tisch liegt ein Telegramm für dich«, sagte er mürrisch.
»Ein Telegramm? Von wem?«
»Keine Ahnung. Glaubst du, ich lese Post, die für dich bestimmt ist?«
Sie nahm den braunen Umschlag vom Tisch. Das Kuvert war nicht zugeklebt, die Lasche nur eingesteckt.
»Ach, du lieber Gott«, sagte sie leise, nachdem sie gelesen hatte.
Nathan sah sie fragend an. »Und? Von wem ist es?«
»Von Frederic. Aus London.« Sie las vor: »Bin wieder in London + terminliche Gründe + Kim bei Grace, die krank ist + morgen Schulanfang + dein Kind braucht dich + Frederic.«
»Sehr wirkungsvoll«, sagte Nathan, »er benutzt das Kind, um dich aus meinen Armen zu reißen. Ich frage mich nur, was er sich davon verspricht? Auf diese Weise würde ich eine Frau nicht zurückgewinnen wollen.«
»Ich glaube, das denkt er sich so auch nicht. Er musste tatsächlich nach London, Grace ist wahrscheinlich wirklich krank, und es ist auch nicht zu leugnen, dass morgen die Schule beginnt.« Virginia biss sich auf die Lippen. »Ich fürchte, Nathan, ich muss zurück.«
»Er hat dich ganz gut im Griff, muss ich sagen.«
»Kim ist erst sieben. Und wenn Grace tatsächlich krank ist …«
»Dann ist immer noch ihr Mann da.«
»Aber der ist vielleicht überfordert. Er muss sich um seine Frau kümmern und …«
»… und Kim morgens zur Schule bringen und irgendwann am Nachmittag wieder abholen. Lieber Gott, das ist doch zu
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