Das Echo der Schuld
verzweifelt.
Bakers Stimme klang mitfühlend. »Ich weiß, Mr. Quentin, es ist eine Zumutung. In Ihrer Situation auf die Beerdigung eines kleinen Mädchens gehen zu müssen … aber Sie verstehen sicher, dass wir …«
»Natürlich«, sagte Frederic, »wir verstehen das, und es ist ganz in unserem Interesse.«
Wie müde er aussieht, dachte Virginia.
Die beiden Männer beendeten ihr Gespräch. Frederic wandte sich zu Virginia um.
»Ich breche jetzt sofort auf«, sagte er. »Ich fahre nach London und hole das Geld.«
»Hat die Bank es schon bereitgestellt?«
»Bis heute Mittag haben sie es.« Frederic hatte am Vortag lange mit einem seiner ältesten und vertrautesten Mitarbeiter gesprochen und ihn in die Situation eingeweiht. »Ich komme dann sofort damit zurück. Es darf keine Verzögerung geben, wenn sich der … wenn sich dieser Mensch wieder meldet.«
»Du willst dir das Geld nicht bringen lassen?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich vertraue mir selbst immer noch am meisten.«
Sie nickte, fühlte sich angesprochen, obwohl er das kaum gemeint haben dürfte: Auch seiner Frau konnte er nicht mehr vertrauen.
»Fahr vorsichtig«, sagte sie. So, wie sie es tausendmal gesagt hatte, wenn er nach London aufbrach.
»Du bleibst hier?«, vergewisserte er sich. »Am Telefon?«
»Natürlich.«
»So natürlich ist das nicht. Vielleicht bist du verabredet.« Sie konnte ihm nicht in die Augen sehen. Sie empfand diesen verletzten Ausdruck, für den sie verantwortlich war, als unerträglich.
»Ich bleibe hier«, sagte sie, »und warte auf dich. Bitte … komm, sobald du kannst!«
Als er verschwunden war, wurde es entsetzlich still im Haus. Viel stiller als in den Stunden zuvor, obwohl Virginia und Frederic da kein Wort gesprochen hatten. Ein Haus, in dem sich ein weiterer Mensch aufhält, schweigt nicht so nachdrücklich wie eines, in dem ein Mensch allein ist.
Sie rief in Nathans Pension an, aber die Wirtin sagte, Mr. Moor sei fortgegangen.
»Ist er mit dem Auto weggefahren?«, fragte Virginia.
»Ich kontrolliere meine Gäste nicht«, versetzte die Wirtin pikiert.
»Sie können doch sehen, ob das Auto noch vor Ihrem Haus parkt!«
Die Wirtin brummte vor sich hin, bequemte sich aber, zum Fenster zu gehen und nachzuschauen.
»Das Auto ist weg«, meldete sie dann.
Warum war er nie erreichbar? Warum blieb er nie daheim?
Aber was war schon daheim in seinem Fall? Das winzige Zimmer in einer kleinen Pension in einem fremden Land. Sollte er den ganzen Tag dort sitzen und aus dem Fenster starren? Und warten, dass … ja, worauf eigentlich? Darauf, dass Kim wieder auftauchte, dass er und Virginia darangehen konnten, ihre gemeinsame Zukunft zu planen. Aber wie sollte die aussehen? Nathan besaß nichts mehr. Virginia würde Unterhalt für Kim bekommen. Für sich selbst erschien ihr das mehr als fraglich, da sie ja mit einem anderen Mann zusammenleben würde. Wenn Nathan über diese Dinge nachdachte, musste er verrückt werden. Ein unlösbares Dilemma.
Gab es das? Eine wirklich ausweglose Situation? Oder war da immer ein Weg, den man nur finden musste? Dachte Nathan über diesen Weg nach? Fuhr in der Gegend herum und grübelte? Oder lief er vor genau diesem Grübeln fort, fuhr über die sonnenbeschienenen Landstraßen und versuchte, seine Misere, Virginias Misere, ihrer beider Misere zu vergessen?
Sie lief im Haus umher, mied diesmal jedoch Kims Zimmer. Der Anblick schmerzte zu sehr. Qualvoll langsam tickten die Minuten dahin. Immer länger, immer leerer, immer zäher schien der Tag zu werden, als laufe die Uhr rückwärts statt vorwärts.
Ihre Unruhe wuchs. Das Gefühl, eingesperrt zu sein, nach Luft zu ringen, wurde stärker. Sie lief in die Küche, füllte sich ein Glas mit Wasser, starrte darauf und kippte es dann weg, weil es sie beim bloßen Gedanken, etwas zu sich zu nehmen, schon würgte. Sie ging ins Wohnzimmer, verließ es wieder, wanderte die Treppe hinauf, betrat das Bad, betrachtete wieder einmal, wie schon am Morgen im Flur, die Fremde im Spiegel. Ihre Hände waren eiskalt. Irgendjemand atmete laut, und sie brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass sie selbst es war.
Ihr fiel ein, dass Superintendent Baker gleich an jenem ersten Morgen – und der war erst gestern gewesen, schien aber Wochen her zu sein – gefragt hatte, ob sie und Frederic psychologische Hilfe in Anspruch nehmen wollten. Er würde ihnen jemanden schicken können. Sie hatten beide abgelehnt, nicht, weil sie sich nicht für
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