Das Echo der Schuld
vorbeischauen. Es erschien ihr sinnvoller, als in dem kleinen Zimmer langsam den Verstand zu verlieren.
Sie ging zur Tür, und dabei fiel ihr Blick auf einen kleinen, bunten Gegenstand, der halb versteckt zwischen dem Kleiderschrank und der Wand klemmte, irgendetwas aus Plastik, gelb, rot und grün leuchtend. Irritiert trat sie näher, griff nach dem Objekt und zog es hervor, schaute es völlig perplex und zunächst ohne jedes Erkennen an: ein Kassettenrekorder. Für Kinder. Anzusehen wie ein großer, runder Wecker, der auf zwei dicken Füßen stand. Vorne die Klappe, um die Kassette einzulegen. Darüber die Tasten für die verschiedenen Einstellungen. Oben herum ein gebogener, breiter Griff, mit dem man ihn herumtragen konnte. Seitlich, in einer Halterung steckend, das Mikrofon, durch das man mitsingen oder verschiedene, grotesk verzerrte Stimmen herstellen konnte.
Verschiedene, grotesk verzerrte Stimmen …
Ihr Gehirn arbeitete plötzlich ganz langsam, so als weigere es sich, das Offensichtliche zu begreifen.
Kim besaß genau solch einen Rekorder.
Irgendwo tief aus ihrem Gedächtnis vernahm sie Frederics Stimme.
»… Es war ein Mann … die Art, wie diese Stimme verzerrt war, erinnerte mich an ein Spielzeug meiner Tochter … Es gibt dabei ein integriertes Mikrofon … Durch verschiedene Einstellungen können sie ihre Stimmen verzerren …«
Vor ungefähr vierundzwanzig Stunden hatte Frederic diese Worte gesprochen. Als er Superintendent Baker von dem Anruf des Erpressers berichtete.
Sie wollte nicht hinsehen, wollte nicht fassen, was sich ihr aufdrängte, aber dann, von einem Moment zum anderen, explodierte die Erkenntnis in ihr, und wie in gleißendes Licht getaucht sah sie, was geschehen war, und in demselben Moment ging die Tür auf, und Nathan erschien auf der Schwelle.
Er schaute sie an – später dachte sie, dass sie wie eine Salzsäule gewirkt haben musste dort neben dem Kleiderschrank, das bunte Spielzeug in der Hand – und sagte: »Du hast dich gründlich umgesehen, wie mir scheint!«
Und sie brachte kein Wort hervor, nur einen leisen, seltsamen Laut, der wie ein Stöhnen klang.
»Was soll ich dir erklären? Du würdest meine Beweggründe weder verstehen noch sie überhaupt glauben wollen«, sagte Nathan. Und fügte hinzu: »Wie ich jedenfalls annehme.« Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, seit sie, in jener seltsamen Starre gefangen, einfach nur da gestanden und kaum hörbar geseufzt hatte. Es mochten Minuten gewesen sein oder auch nur Sekunden. Schließlich, als sie spürte, dass sie sich wieder bewegen konnte, hatte sie ihr furchtbares Beweisstück ein wenig höher gehoben und mit belegter Stimme gefragt: »Was ist das?«
Aber er hatte natürlich verstanden, dass sie nicht um eine Definition des Gegenstands bat, sondern um eine Erklärung dafür, weshalb sich dieses Gerät in seinem Zimmer befand. Irgendwo in ihrem tiefsten Inneren war noch ein Funke Hoffnung gewesen, er könne ihr eine Antwort geben, die alles in ein anderes Licht setzte und für das Offensichtliche eine harmlose Alternative aufzeigte. Zugleich war da die Angst, er könne sich herauszureden versuchen, könne die Situation noch unerträglicher machen, indem er sich in völlig unglaubwürdige Ausreden flüchtete.
Nichts von beidem geschah. Er erklärte gar nichts. Verschaffte sich Zeitgewinn, indem er behauptete, sie würde ihn ohnehin nicht verstehen. Und bestätigte damit zugleich die Richtigkeit ihres Verdachts.
»Wo ist sie?«, stieß sie heiser hervor. »Wo ist Kim?« Und als er nicht antwortete, schrie sie plötzlich: »Wo ist Kim? Wo ist Kim? Wo ist sie?«
Er zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung.«
Die gleichgültige Geste, sein unbeteiligter Gesichtsausdruck, ließen von einer Sekunde zur anderen eine Sicherung in ihr durchbrennen. Ihr wurde so schwindelig, dass sie meinte, im nächsten Augenblick ohnmächtig auf dem Boden zu landen. Stattdessen ließ sie den Rekorder fallen, der krachend und scheppernd auf den hellen Dielenbrettern aufprallte, und stürzte auf Nathan zu, die Hände zu Fäusten geballt, die Arme erhoben. Sie merkte gar nicht, mit welcher Kraft sie auf ihn einschlug, ins Gesicht, auf die Schultern, gegen seine Brust. »Wo ist Kim?«, keuchte sie. »Wo ist Kim? Wo ist Kim?«
Es gelang ihm, ihre beiden Handgelenke zu packen und festzuhalten. Er schüttelte sie grob. »Ich weiß es nicht, verdammt! Ich weiß es nicht!«
Sie hielt in ihrem wütenden Kampf inne. »Wo ist
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