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Das Echo der Schuld

Das Echo der Schuld

Titel: Das Echo der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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geradeaus durch, dann kommen Sie in den Frühstücksraum. Dort können Sie warten. In sein Zimmer kann ich Sie natürlich nicht lassen!«
    Virginia durchquerte den schmalen Flur und betrat das Frühstückszimmer. Unruhig ging sie auf und ab, schaute zu den Fenstern hinaus in die sonnige Landschaft und betrachtete das Bild an der Wand, das ein untergehendes Schiff zeigte.
    Er ist nie da!
    Aber muss er wirklich hier sitzen und warten, nur für den Fall, dass ich hereinschneie und ihn frage, ob er etwas mit dem Verschwinden meines Kindes zu tun hat?
    Sie war hierher gefahren, um etwas zu tun, und nun saß sie schon wieder zwischen engen Wänden und schien zum Warten verurteilt. Zu ihrem Schrecken bemerkte sie, dass sich die Panik, die sie daheim schon verspürt hatte, erneut bedrohlich näherte. Vielleicht hätte sie genauer nachdenken und nicht diese überstürzte Fahrt unternehmen sollen. Vielleicht wäre es sogar besser gewesen, einen Spaziergang daheim im Park zu machen oder mit Jack und Grace einen Tee zu trinken, aber dann fiel ihr ein, dass Grace sich wieder in endlosen Selbstanklagen ergangen hätte, und es war klar, dass sie das nicht ausgehalten hätte.
    Sie öffnete eines der Fenster, lehnte sich hinaus, um mehr Sauerstoff zu bekommen. Am allervernünftigsten wäre es zweifellos gewesen, Superintendent Baker anzurufen und um psychologische Betreuung zu bitten. Man wusste bei der Polizei schon, weshalb man das anbot, und wahrscheinlich war es hochnäsig von ihr gewesen zu glauben, sie käme ohne dies aus.
    Sie schaute auf ihre Armbanduhr. Zehn Minuten waren erst vergangen, dabei hätte sie schwören können, dass sie seit mindestens einer halben Stunde in dem engen Raum saß. Sie beschloss, das Verbot der Wirtin zu ignorieren und Nathans Zimmer aufzusuchen. Sie war keine Fremde, sie war seine zukünftige Frau. Und vielleicht ging es ihr dort oben zwischen all seinen Sachen besser.
    Zwischen welchen Sachen allerdings, fragte sie sich, während sie leise die steile Treppe hinaufhuschte, er hat ja nichts.
    Auf dem oberen Treppenabsatz gab es zwei Türen. Die erste, deren Klinke Virginia herunterzudrücken versuchte, war verschlossen, aber die zweite ließ sich öffnen, und das Zimmer, das sie gleich darauf betrat, sah so vollkommen unpersönlich und unbewohnt aus, dass sie sogleich wusste, es konnte nur von einem Schiffbrüchigen ohne Hab und Gut gemietet worden sein.
    Das Fenster stand offen, der Raum war von frischer Seeluft erfüllt, der Wind spielte sacht mit den Gardinen. Das Bett war sorgfältig mit einer geblümten Tagesdecke abgedeckt. An den Wänden befanden sich ebenfalls Bilder mit Schiffsmotiven, aber wenigstens keines, das einen Untergang gezeigt hätte.
    Sie ging in das winzige angrenzende Bad. Ein Stück Seife auf dem Waschbecken, darüber eine Tube Rasiercreme, eine Klinge und ein Kamm. Nathan kam wirklich mit wenig aus. Es blieb ihm allerdings auch nichts anderes übrig.
    Wieder im Zimmer, schaute sie erneut zum Fenster hinaus, setzte sich auf das Bett, knetete ihre Hände ineinander. Als das Handy klingelte, sprang sie so entsetzt auf, als hätte sie im Leben nichts weniger erwartet als das.
    Mit zitternden Fingern nahm sie es aus ihrer Handtasche und meldete sich. »Ja? Virginia Quentin hier.« Ihre Stimme klang schwach.
    Am anderen Ende war Frederic. »Virginia? Ich bin es bloß, Frederic. Was ist los? Du klingst schrecklich.«
    Sie bemühte sich um ein wenig Festigkeit. »Es … es gibt überhaupt nichts Neues. Niemand ruft an. Ich bin … meine Nerven …«
    »Ich weiß«, sagte Frederic, »und ich werde zusehen, dass ich so schnell wie möglich wieder bei dir bin. Ich bin jetzt in London, und ich habe das Geld. Ich muss nur irgendwo schnell einen Kaffee trinken, dann mache ich mich auf den Rückweg.«
    Ich bin in Hunstanton im Zimmer meines Liebhabers, versuche einen ungeheuerlichen Verdacht zu entkräften und stehe dicht vor einem Nervenzusammenbruch …
    Das sagte sie natürlich nicht. Stattdessen wiederholte sie ihre Worte vom Morgen: »Fahr vorsichtig.«
    Es folgte ein kurzes Schweigen, und gerade als Virginia schon dachte, Frederic habe aufgelegt, sagte er: »Wir stehen das durch, Virginia. Wir stehen das durch.«
    »Ja«, sagte sie leise, dann beendete sie das Gespräch, schob das Handy in ihre Tasche zurück.
    Sie setzte sich wieder auf das Bett, fand aber keine Ruhe und stand erneut auf. Vielleicht sollte sie einen Spaziergang machen und eine Stunde später noch einmal

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