Das Echo der Schuld
einmal?
Sie kam sich so schäbig und so unfair vor, wenn sie weiterhin ablehnte, aber der Gedanke, zu einem Fest mit fremden Menschen zu gehen, die sie unbarmherzig taxieren und womöglich mit hochgezogenen Augenbrauen beurteilen würden, war so schrecklich, dass sie ihn rasch wieder beiseite schieben musste, wenn sie nicht erneut Kopfschmerzen bekommen wollte.
»Ich denke nach«, sagte sie, »das verspreche ich dir. Wirklich. Ich überlege es mir.«
Er war mit dieser Antwort natürlich nicht glücklich, schien aber zu begreifen, dass er mehr für den Moment nicht bekommen würde.
»Gib mir Bescheid, wie du dich entschieden hast«, sagte er und legte auf.
Ich habe mich längst entschieden! Und das weißt du! Warum lässt du mich nicht in Ruhe? Warum gibst du mir das Gefühl, ein furchtbarer Mensch zu sein?
Sie ging in die Küche. Der Duft von frischem Kaffee und gebratenen Eiern mit Speck wehte ihr entgegen. Nathan stand an der Anrichte, ließ gerade zwei sanft gebräunte Brotscheiben aus dem Toaster springen und legte sie in den Brotkorb.
»Guten Morgen«, sagte er, »schon wach?«
»Schon ist gut.« Etwas missmutig sah sie zu, mit welcher Unbefangenheit er in ihrer Küche hantierte. Er trug Jeans und ein T-Shirt, das zu eng war für seine breiten Schultern und muskulösen Arme, und als sie genauer hinsah, entdeckte sie, dass es ein T-Shirt war, das Frederic gehörte, der weniger athletisch war. Für Nathan war es einfach eine Nummer zu klein.
»Sie sollten T-Shirts in Ihrer Größe tragen«, sagte sie.
»Was?« Er blickte an sich hinunter. »Ach so. Das gehört nicht mir. Ich fand es in Ihrer Wäschekammer auf einem Stapel Bügelwäsche. Meine Sachen sind ziemlich verschwitzt, und da dachte ich … Ich hoffe, es stört Sie nicht?«
»Nein. Nein, ist schon okay.« Die Wäschekammer befand sich im Keller. Wieso war er bis in den Keller hinuntergegangen? Wieso streifte er überhaupt derart unbekümmert im Haus herum? Auf einmal empfand sie die Vorstellung als beklemmend, dass sie in ihrem Bett gelegen und geschlafen hatte, während er sich überall umsah. In der nächsten Nacht würde sie jedenfalls ihre Tür abschließen. Sollte er in der nächsten Nacht noch da sein.
Er wird da sein, dachte sie resigniert, wenn ich ihn nicht hinauswerfe. Von allein wird er sich nicht einfach umdrehen und verschwinden.
»Ich wollte heute früh eigentlich joggen«, sagte sie, »aber ich habe glatt verschlafen. Das passiert mir sonst nie.«
»Sie haben sich emotional gestern Abend sehr verausgabt. Kein Wunder, dass Sie müde waren. Und dem Joggen sollten Sie nicht nachtrauern. Draußen herrscht Nieselregen, und es ist ziemlich kalt geworden.«
Ihr fiel erst jetzt auf, dass es in der Küche noch düsterer war als gewöhnlich. Sie bemerkte den Regen, der in feinen Bindfäden vor dem Fenster herabrann.
»Es ist plötzlich Herbst geworden«, sagte sie.
»Bald beginnt der September«, meinte Nathan. »Es werden noch schöne Tage kommen, aber nach dieser Abkühlung wird es wohl nicht mehr wirklich warm werden.«
Auf einmal fühlte sie sich traurig. Und seltsam kraftlos.
Er merkte es. »Kommen Sie. Ein heißer Kaffee ist genau das, was Sie jetzt brauchen. Und ein Toastbrot mit Rührei. Ich mache ziemlich gute Rühreier.«
Sorgfältig richtete er ihr Frühstück auf einem Teller an. Erstaunt, wie angenehm das Gefühl war, umsorgt zu werden, ließ sie sich auf einen Stuhl am Tisch sinken und nahm den ersten Schluck Kaffee. Er war genau richtig. Stark und belebend, aber nicht bitter.
»Sie machen auch einen guten Kaffee«, sagte sie.
Er lächelte. »Ich bin bei uns daheim für die Küche verantwortlich. Man gewinnt Erfahrung im Lauf der Jahre.«
Die Erwähnung seines Zuhauses brachte sie auf einen Gedanken. »Ich habe Sie das gestern gar nicht gefragt - wie geht es Livia?«
»Nicht besser, nicht schlechter.« Er zuckte nicht die Schultern, als er das sagte, aber die Antwort klang wie ein Schulterzucken. Ziemlich gleichgültig.
»Sie waren aber bei ihr?«, hakte sie nach. Sie erinnerte sich, dass er so fröhlich und gelöst von seinem Krankenbesuch zurückgekehrt war, dass sie einen Moment lang durchaus die Möglichkeit in Erwägung gezogen hatte, er sei gar nicht dort gewesen.
Er sah sie amüsiert an. Inzwischen hatte er ihr gegenüber am Tisch Platz genommen und sich auch einen Kaffee eingeschenkt, auf Toast und Rührei jedoch verzichtet. »Weshalb sollte ich nicht bei ihr gewesen sein? Deswegen hatte ich mir
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