Das Echo der Schuld
auf den ersten Blick?«, fragte er.
Sie nickte. »Was mich betrifft – ja.«
»Und für ihn war das anders?«
»Nein. Aber …«
»Aber?«
Leise sagte sie: »Es änderte sich später.« »Haben Sie Michael von Andrew erzählt? Sich von ihm getrennt?«
»Nein. Michael erfuhr nichts. Ich trennte mich auch nicht von ihm. Es blieb alles, wie es war zwischen uns. Nur dass ich …« »Nur dass Sie ein Verhältnis nebenher hatten!«
»Ja.«
»Seltsam. Bei einer Liebe auf den ersten Blick? Warum diese Verschwiegenheit? Die Heimlichtuerei? War Andrew Stewart damit einverstanden, dass Sie weiterhin mit Ihrem Freund zusammenlebten ?«
Auf einmal fühlte sie sich in die Enge getrieben. »Was wollen Sie hören?«
Er hob abwehrend beide Hände. »Nichts. Nichts, was Sie nicht sagen wollen.«
Sie hatte einen Fehler gemacht, als sie mit ihm zu reden begann. Sie hatte einen Fehler gemacht, als sie sich nach dem Schiffsunglück um die beiden Deutschen kümmerte. Sie machte seit Tagen nur noch Fehler, und damit kam eines zum anderen, und alles schien plötzlich schief zu laufen.
»Ich glaube, ich möchte jetzt schlafen gehen«, sagte sie, »ich bin sehr müde.«
Ohne ihm eine gute Nacht zu wünschen, verließ sie den Raum. Draußen auf der Treppe fasste sie sich erneut an beide Schläfen, hinter denen es leise pochte. Hoffentlich kehrten die Kopfschmerzen nicht zurück. Es reichte, dass allzu viele Bilder und Erinnerungen wiederkamen.
Das alles war so lange verschüttet gewesen. Vielleicht sollte sie nicht weiter daran rühren. Nie hatte sie einem Menschen von jener Zeit erzählt.
Warum ausgerechnet diesem Fremden?
Montag, 28. August
1
Als Virginia am nächsten Morgen nach einer Nacht voll unruhigen Schlafs und böser Träume die Treppe hinunterkam, klingelte das Telefon. Es war noch nicht einmal halb acht, und für gewöhnlich rief niemand um diese Zeit an. Für einen Moment schwebte sie in der Versuchung, sich taub zu stellen und das Läuten zu ignorieren. Es war Bank Holiday, ein Feiertag, und es gehörte sich nicht, um diese Zeit bei anderen Menschen anzurufen. Allerdings war sie fast sicher, dass Frederic sie zu erreichen versuchte. Wenn auch die meisten Geschäfte heute geöffnet hatten, waren doch die Banken traditionsgemäß geschlossen, und er musste nicht arbeiten. Sie lief ins Wohnzimmer und nahm den Hörer ab. »Ja?«, sagte sie.
»Ich bin es, Frederic. Ich hoffe, ich habe dich nicht geweckt?« »Nein. Ich bin gerade aufgestanden.«
»Hast du dein Kopfweh gestern noch in den Griff bekommen?« »Nein.«
Er schwieg einen Moment. »Das tut mir leid«, sagte er dann. »Ich wollte natürlich nicht, dass du dich quälst.« »Ist schon gut. Es ist jetzt vorbei.«
»Virginia …« Es fiel ihm sichtlich schwer, ihr schon wieder zuzusetzen. »Virginia, ich möchte dich wirklich nicht unter Druck setzen, aber … hast du noch einmal über meine Bitte von gestern nachgedacht?«
Sie hatte natürlich nicht geglaubt, dass der Fall erledigt sei, aber irgendwie hatte sie gehofft, er werde etwas mehr Zeit verstreichen lassen, ehe er in die nächste Runde ging.
»Es ging mir wirklich nicht gut«, sagte sie, »ich habe eigentlich nicht nachdenken können.«
Er seufzte. »Es fällt mir ziemlich schwer zu verstehen, weshalb das alles überhaupt eine Frage ist, die intensives Nachdenken erfordert.«
Sie wollte nicht aggressiv werden, aber es war schon wieder Schärfe in ihrer Stimme, als sie sagte: »Und mir fällt es schwer zu verstehen, weshalb du deine Karriere nicht allein machen kannst!«
Sie wusste, dass er nun auch den Hörer hätte auflegen können, aber er schien wirklich dringend auf ihre Kooperation angewiesen zu sein, denn in einer betont ruhigen Weise, der man seine mühsame Beherrschtheit anmerkte, erwiderte er: »Lass uns nicht streiten. Ich denke, ich habe dir ausführlich erklärt, weshalb ich dich brauche. Warum versuchst du es nicht wenigstens einmal? Alles, was du tun musst, ist, ein hübsches Kleid in den Koffer zu packen und dich in den Zug nach London zu setzen oder dich von Jack fahren zu lassen. Wir gehen zusammen zu der Party, und ich verspreche dir, dass ich dich, wenn du es dann tatsächlich ganz schrecklich findest, nie mehr um einen derartigen Gefallen bitte.«
Er machte das geschickt, das musste sie zugeben. Er war sanft und freundlich und deutete an, sie nicht dauerhaft zu etwas zwingen zu wollen, was ihr zutiefst zuwider war.
Warum versuchst du es nicht wenigstens
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