Das Echo der Traeume
und auf Hochglanz polierten Stiefeln, die Kappe unter dem Arm. Er salutierte und überreichte Rosalinda mit konzentrierter Miene ein Kuvert. Sie zog ein kleines, in der Mitte gefaltetes Blatt Papier heraus, las die Nachricht und lächelte.
» I’m truly very sorry, aber ihr müsst mich entschuldigen«, meinte sie und warf hastig ihre Sachen in die Handtasche. Das Zigarettenetui, die Handschuhe, die Nachricht. » Es hat sich etwas Anerwartetes, Verzeihung, Unerwartetes ergeben«, fügte sie hinzu. Und mir flüsterte sie aufgeregt ins Ohr: » Juan Luis ist früher aus Sevilla zurück als geplant.«
Wahrscheinlich verstand der Journalist auch, was sie sagte, trotz seines geschädigten Trommelfells.
» Unterhaltet euch ruhig weiter, ihr werdet es mir ja erzählen«, fügte sie laut hinzu. » Sira, darling, wir sehen uns. Und Sie, Logan, halten Sie sich morgen bereit. Ein Wagen wird Sie hier um ein Uhr abholen. Sie werden bei mir zu Hause mit dem Hochkommissar essen und anschließend noch den ganzen Nachmittag für Ihr Interview zur Verfügung haben.«
Der junge Offizier und zahlreiche unverhohlen neugierige Blicke begleiteten Rosalinda zum Ausgang. Als sie fort war, bat ich Logan, mir noch mehr über diesen Lance zu erzählen.
» Wenn Lance keinen Vorteil daraus zieht und er kein politisches Motiv hat, warum macht er es dann?«
Wieder zuckte er nur die Achseln, als wollte er sich dafür entschuldigen, dass er keine vernünftige Erklärung bieten konnte.
» Solche Leute gibt es eben. Lance ist ein ziemlich spezieller Typ, eine Art Kreuzritter für hoffnungslose Fälle. Seine Aktionen haben überhaupt nichts mit Politik zu tun, sagt er selbst, ihm geht es ausschließlich um die humanitären Aspekte. Wahrscheinlich würde er sich ebenso für linke Republikaner einsetzen, wenn es ihn zufällig in die Zone der Nationalisten verschlagen hätte. Vielleicht hat er diesen Hang zum Helfen von seinem Vater geerbt, der Domherr an der Kathedrale von Wells war, wer weiß. Jedenfalls hatten sich zum Zeitpunkt des Aufstands der Botschafter, Sir Henry Chilton, und der größte Teil seiner Mitarbeiter bereits nach San Sebastián in die Sommerfrische verabschiedet, und in Madrid war lediglich ein Konsularbeamter zurückgeblieben, der sich der Situation jedoch nicht gewachsen zeigte. Also nahm Lance als alteingesessenes Mitglied der britischen Gemeinde sozusagen spontan die Zügel in die Hand. Wie sagen die Spanier? Sin encomendarse a Dios ni al diablo, ohne sich erst Gott oder dem Teufel zu empfehlen. Er öffnete die Botschaft, in erster Linie, um britischen Staatsbürgern Zuflucht zu bieten, nach meinen Informationen höchstens dreihundert Personen. Eigentlich hatte niemand direkt etwas mit Politik zu tun, aber es waren größtenteils Konservative, die mit den Rechten sympathisierten, deshalb suchten sie diplomatischen Schutz, als sie begriffen, dass die Lage brenzlig wurde. Und dann kamen Hunderte von Schutzsuchenden mehr als erwartet. Sie gaben an, in Gibraltar oder während einer Seereise auf einem englischen Schiff geboren worden zu sein, Verwandte in Großbritannien zu haben, in geschäftlichen Beziehungen zur britischen Handelskammer zu stehen – alle möglichen Vorwände wurden vorgebracht, um sich den Schutz unserer Flagge, des Union Jack, zu sichern.«
» Warum flüchteten die Leute gerade in Ihre Botschaft?«
» Sie kamen nicht nur in unsere, keineswegs. Eigentlich gehörte unsere Botschaft zu denen, die sich besonders dagegen sträubten, Flüchtlinge aufzunehmen. In den ersten Tagen verhielten sich praktisch alle gleich. Sie nahmen Bürger des eigenen Landes auf und auch einige Spanier, die Schutz brauchten.«
» Und später?«
» Einige Gesandtschaften sind weiterhin sehr aktiv, direkt oder indirekt in der Flüchtlingshilfe engagiert, vor allem Chile, aber auch Frankreich, Argentinien und Norwegen. Andere hingegen lehnten es nach der ersten Zeit der Unsicherheit ab weiterzuhelfen. Lance allerdings tritt nicht als Vertreter der britischen Regierung auf, im Gegenteil: Er macht alles, was er tut, aus eigenem Antrieb. Wie ich Ihnen bereits sagte, gehörte unsere Botschaft zu denen, die sich weigerten, weiter Asyl zu gewähren und sich bei der Evakuierung von Flüchtlingen zu engagieren. Lance unterstützt auch nicht abstrakt die nationale Seite, sondern Einzelpersonen, die aus irgendwelchen Gründen – aus ideologischen, familiären oder welchen auch immer – Madrid verlassen müssen. Er ließ sich praktisch in der
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