Das Echo der Traeume
Botschaft nieder, das stimmt, und irgendwie schaffte er es, sich zum Honorarattaché ernennen zu lassen, um in den ersten Kriegstagen britische Staatsbürger evakuieren zu können, aber seither arbeitet er auf eigenes Risiko. Wenn es in seinem Interesse ist, normalerweise, um bei Straßenkontrollen die Milizionäre und die Wachposten zu beeindrucken, nutzt er ausgiebig alle diplomatischen Accessoires, die ihm zur Verfügung stehen: eine Armbinde mit dem Union Jack, damit er gleich als Engländer erkannt wird, Fähnchen am Automobil und einen riesigen Passierschein voller Gebührenmarken und Stempel von der Botschaft, von sechs oder sieben Arbeiterräten und dem Kriegsministerium, alles, was er zur Hand hat. Er ist schon ein recht eigenwilliger Typ, dieser Lance: sympathisch, geschwätzig, immer auffällig gekleidet mit Sakkos und Krawatten in Farben, die einem in den Augen wehtun. Manchmal glaube ich, er übertreibt absichtlich ein wenig, damit man ihn nicht allzu ernst nimmt und ihn gar nicht erst verdächtigt.«
» Wie schafft er die Leute zur Küste?«
» Ich weiß es nicht genau, er gibt nur ungern Einzelheiten preis. Anfangs nutzte er Botschaftsfahrzeuge und Lastwagen seines Unternehmens, glaube ich, bis diese beschlagnahmt wurden. In letzter Zeit ist er anscheinend mit einem Krankenwagen unterwegs, den das schottische Regiment der Republik zur Verfügung gestellt hat. Und in Begleitung von Margery Hill, einer Krankenschwester vom Hospital Anglo-Americano in Madrid. Kennen Sie es?«
» Ich glaube nicht.«
» Es befindet sich in der Calle de Juan Montalvo, dort, wo das Universitätsgelände beginnt, praktisch direkt an der Frontlinie. Dorthin haben sie mich gebracht, als ich verletzt wurde, dann verlegten sie mich zur Operation in das Hospital, das sie im Hotel Palace eingerichtet haben.«
» Ein Hospital im Palace?«, fragte ich ungläubig.
» Ja, ein Feldlazarett. Wussten Sie das nicht?«
» Nein, ich hatte keine Ahnung. Als ich Madrid verlassen habe, waren das Palace und das Ritz die luxuriösesten Hotels.«
» Tja, so schnell kann’s gehen! Inzwischen hat es eine andere Funktion übernommen, vieles hat sich geändert. Ich lag dort einige Tage, bis sie beschlossen, mich nach London auszufliegen. Ich kannte Lance schon, bevor ich ins Hospital Anglo-Americano kam, die britische Kolonie in Madrid ist mittlerweile stark geschrumpft. Ein paar Mal hat er mich auch im Palace besucht. Für ihn gehört es zu seiner selbst auferlegten humanitären Aufgabe, nach Möglichkeit allen Landsleuten zu helfen, wenn sie in Schwierigkeiten sind. Deshalb weiß ich ein bisschen Bescheid, wie das mit den Evakuierungen funktioniert, aber nur das, was er selber erzählen wollte. Normalerweise kommen die Flüchtlinge von sich aus ins Hospital, manchmal werden sie eine Zeitlang dortbehalten und als Patienten ausgegeben, bis der nächste Transport vorbereitet wird. Sie fahren immer zu zweit, Lance und Schwester Margery: Offenbar kann sie mit Funktionären und Milizionären besonders gut umgehen, wenn es bei Kontrollen kritisch wird. Und außerdem bringt sie auf der Rückfahrt nach Madrid alles mit, was sie auf den Schiffen der Royal Navy abzweigen kann: Medikamente, Verbandsmaterial, Seife, Lebensmittelkonserven …«
» Wie geht der Transport vor sich?«
Ich wollte mir ungefähr vorstellen können, welches Abenteuer meine Mutter würde bestehen müssen.
» Ich weiß, dass sie am frühen Morgen losfahren. Lance kennt bereits alle Kontrollposten, es sind über dreißig. Manchmal brauchen sie mehr als zwölf Stunden für die Strecke. Außerdem ist er schon zum Psychologen geworden, was Milizionäre angeht: Er steigt aus, spricht mit ihnen, nennt sie Kameraden, zeigt ihnen seinen beeindruckenden Passierschein, bietet ihnen Tabak an, scherzt mit ihnen und verabschiedet sich mit › Es lebe Russland!‹ oder › Tod den Faschisten!‹ – alles, damit sie ihn weiterfahren lassen. Das Einzige, was er niemals macht, ist, sie zu bestechen. Das hat er sich selbst zum Prinzip gemacht, und soweit ich weiß, hat er sich immer daran gehalten. Er hält sich auch strikt an die Gesetze der Republik. Und natürlich vermeidet er grundsätzlich, irgendwelche Zwischenfälle zu provozieren, die dem Ruf unserer Botschaft schaden könnten. Eigentlich ist er ja kein Botschaftsangehöriger, denn sein Titel wurde ihm nur ehrenhalber verliehen, aber er hält sich dennoch streng an den diplomatischen Ehrenkodex.«
Kaum hatte er ausgeredet, hatte ich
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