Das Echo der Traeume
Tonsignale. Diese Tonsignale lassen sich jedoch auch grafisch sehr einfach darstellen, über ein simples System von Punkten und kurzen waagrechten Strichen. Moment.«
Aus seinem Aktenkoffer zog er einen Umschlag mittlerer Größe und aus diesem eine Art Schablone aus Pappe. Darauf waren in zwei Spalten nebeneinander die Buchstaben des Alphabets und die Ziffern von null bis neun zu sehen, daneben jeweils die entsprechende Kombination aus Punkten und Strichen.
» Versuchen Sie nun bitte einmal, irgendein Wort zu transkribieren, beispielsweise Tanger. Bitte laut, sodass ich Sie hören kann.«
Ich nahm die Tabelle in die Hand und sprach laut die einzelnen Buchstaben vor.
» Strich. Punkt Strich. Strich Punkt. Strich Strich Punkt. Punkt. Punkt Strich Punkt.«
» Perfekt. Und jetzt stellen Sie den Namen grafisch dar. Nein, lieber auf Papier. Hier, bitte.« Mit diesen Worten zog er einen silbernen Drehbleistift aus der Innentasche seines Sakkos. » Schreiben Sie ihn gleich auf diesen Umschlag.«
Mit Hilfe der Tabelle schrieb ich nun den Code für die sechs Buchstaben nieder: –.– –.– –…–.
» Ausgezeichnet. Und jetzt sehen Sie sich das Ganze genau an. Erinnert es Sie an etwas? Kommt es Ihnen bekannt vor?«
Ich betrachtete die Aneinanderreihung von Punkten und Strichen. Und lächelte. Natürlich. Natürlich war es mir vertraut. Wie auch nicht, ich hatte doch mein ganzes Leben damit verbracht.
» Sieht aus wie Nadelstiche«, sagte ich leise.
» Richtig«, bestätigte er. » Genau an diesen Punkt wollte ich kommen. Sehen Sie, wir möchten, dass Sie alle Informationen, die Sie uns übermitteln wollen, nach diesem System verschlüsseln. Natürlich müssen Sie noch üben, das, was Sie uns mitteilen wollen, in möglichst wenige Worte zu fassen, sonst werden endlose Sequenzen daraus. Und ich möchte, dass Sie diese Punkt-Strich-Mitteilungen in einer Weise tarnen, dass sie wie ein Schnittmuster aussehen, ein Entwurf oder Ähnliches – irgendetwas, das man mit einer Schneiderin in Verbindung bringt, ohne dass es Verdacht erregt. Es muss gar kein reales Schnittteil sein, sondern nur so aussehen, verstehen Sie?«
» Ich glaube, ja.«
» Gut, versuchen wir’s.«
Aus seinem Aktenkoffer holte er eine Schreibmappe mit einem Stapel weißen Papiers, nahm ein Blatt heraus, schloss die Mappe und legte sie auf die lederne Schreibunterlage.
» Nehmen wir an, die Botschaft lautet: › Abendessen in der Villa der Baronin de Petrino am 5. Februar um acht Uhr. Eingeladen sind Gräfin Ciano und ihr Gatte‹. Später werde ich Ihnen erklären, um wen es sich bei diesen Personen handelt, keine Sorge. Als Erstes müssen Sie alle überflüssigen Wörter streichen: Artikel, Präpositionen et cetera. Dadurch wird die Nachricht wesentlich kürzer. Also: › Abendessen Villa Baronin Petrino 5 Februar acht abends. Es kommen Gräfin Ciano und Gatte.‹ Nun haben wir statt einundzwanzig Wörtern nur noch vierzehn. Und jetzt, nach der Kürzung, kehren wir die Reihenfolge der Wörter um. Statt die kodierte Nachricht von links nach rechts zu transkribieren, wie man üblicherweise schreibt, schreiben wir sie von rechts nach links. Das heißt, Sie schreiben immer von der rechten unteren Ecke der Oberfläche, die Sie benützen, zur linken oberen. Können Sie mir folgen?«
» Ja, lassen Sie es mich bitte versuchen.«
Er reichte mir die Schreibmappe, ich legte sie mir auf die Knie. Dann nahm ich den Drehbleistift und zeichnete eine scheinbar formlose Form, die den Großteil des Papiers einnahm. Gerundet auf der einen Seite, gerade an den Enden. Für das unkundige Auge nicht zu deuten.
» Was ist das?«
» Moment noch«, erwiderte ich, ohne den Blick zu heben.
Ich beendete die Skizze, stach mit dem Bleistift ganz rechts unten in die Figur ein und transkribierte dann parallel zu der Umrisslinie die Buchstaben in den Morsecode, indem ich die Punkte durch kurze Striche ersetzte. Am Schluss verlief entlang des gesamten inneren Umfangs der Figur ein scheinbar vollkommen harmloser Steppstich.
» Fertig?«, fragte Hillgarth.
» Noch nicht ganz.« Aus dem kleinen Necessaire, das ich immer bei mir hatte, nahm ich eine Schere und schnitt die Figur damit aus, wobei ich rundum einen knappen Zentimeter Rand ließ.
» Sie sagten doch, dass Sie etwas haben möchten, das man mit einer Schneiderin assoziiert, nicht?«, meinte ich und reichte ihm das Stück. » Hier haben Sie’s: der Schnitt für einen Puffärmel, inklusive der Nachricht.«
Seine
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