Das Echo der Traeume
früh ins Bett zu gehen.«
Ein Kellner stellte einen Champagnerkühler neben uns und zwei Gläser auf den Tisch. Die Terrasse ging auf einen Garten mit üppiger Vegetation hinaus. Es dämmerte bereits, doch noch erreichten uns die letzten Sonnenstrahlen. Eine leichte Brise erinnerte daran, dass wir uns ganz in der Nähe des Meeres befanden. Blütenduft lag in der Luft, es roch nach französischem Parfum, nach Salz und Pflanzengrün. Aus der Bar war Klavierspiel zu hören, und von den benachbarten Tischen drangen Gesprächsfetzen in verschiedenen Sprachen zu uns herüber. Das ausgedörrte, staubige Madrid, das ich vor nicht einmal vierundzwanzig Stunden verlassen hatte, erschien mir plötzlich wie ein Albtraum aus einer anderen Zeit.
» Ich muss Ihnen etwas gestehen«, sagte mein Gastgeber, als der Kellner unsere Gläser gefüllt hatte.
» Was denn?«, fragte ich, während ich mein Glas an die Lippen führte.
» Sie sind die erste Marokkanerin, die ich in meinem Leben kennenlerne. Hier wimmelt es zurzeit von Ausländern aus tausend Nationen, aber alle sind aus Europa.«
» Sind Sie noch nie in Marokko gewesen?«
» Nein. Und ich bedaure es, vor allem wenn alle Marokkanerinnen so wie Sie sind.«
» Es ist ein faszinierendes Land mit wunderbaren Menschen, doch viele Frauen wie mich dürften Sie dort nicht finden, fürchte ich. Ich bin eine untypische Marokkanerin, denn meine Mutter ist Spanierin. Ich bin keine Moslemin, und meine Muttersprache ist nicht Arabisch, sondern Spanisch. Aber ich liebe Marokko. Außerdem lebt dort meine Familie, dort habe ich mein Zuhause und meine Freunde. Gegenwärtig lebe ich jedoch in Madrid.«
Wieder nahm ich einen Schluck Champagner und war sehr froh, nicht mehr als unbedingt notwendig gelogen zu haben. Die dreisten Schwindeleien gehörten inzwischen schon zu meinem Leben, aber am wohlsten war mir doch, wenn ich möglichst nah an der Wahrheit bleiben konnte.
» Übrigens sprechen Sie ausgezeichnet Spanisch«, bemerkte ich.
» Ich habe viel mit Spaniern gearbeitet, mein Vater hatte sogar lange Jahre einen Madrilenen als Teilhaber im Geschäft. Vor dem Krieg, vor dem spanischen Bürgerkrieg, meine ich, war ich geschäftlich recht häufig in Madrid. In letzter Zeit bin ich mehr anderweitig engagiert und reise seltener nach Spanien.«
» Es ist wahrscheinlich auch kein guter Zeitpunkt.«
» Kommt darauf an«, entgegnete er mit ironischem Unterton. » Ihnen scheint es geschäftlich sehr gut zu gehen.«
Ich schenkte ihm erneut ein Lächeln und überlegte gleichzeitig, wer zum Teufel ihm etwas über mich erzählt haben könnte.
» Ich sehe, Sie sind gut informiert.«
» Ich versuche es zumindest.«
» Nun, ich muss zugeben, mein kleines Geschäft läuft nicht schlecht. Eigentlich bin ich deshalb hier, wie Sie wissen.«
» Um die schönsten Stoffe für die neue Saison nach Spanien mitzunehmen.«
» Das habe ich vor, ja. Man hat mir erzählt, dass Sie wunderbare Seiden aus China anbieten.«
» Wollen Sie die Wahrheit hören?«, fragte er und zwinkerte mir verschwörerisch zu.
» Oh ja, bitte«, murmelte ich und spielte sein Spiel mit.
» Nun, die Wahrheit ist, dass ich es nicht weiß«, erklärte er lachend. » Ich habe nicht die geringste Ahnung, wie gut die Seiden sind, die wir aus Macao importieren. Ich befasse mich nicht direkt damit. Der Textilbereich …«
Ein junger, schlanker Mann mit schmalem Schnurrbart, vielleicht sein Sekretär, näherte sich diskret, entschuldigte sich auf Portugiesisch und flüsterte da Silva einige deutlich artikulierte Worte ins linke Ohr, die ich nicht verstehen konnte. Ich tat, als blickte ich konzentriert in die Nacht hinaus, die sich über den Garten senkte. Gerade hatte man die weißen Kugellampen angezündet, die Luft war noch immer erfüllt von angeregten Unterhaltungen und Klavierklängen. Doch ich war weit davon entfernt, mich in dieser paradiesischen Umgebung geistig zu entspannen. Vielmehr beschäftigte mich, was zwischen diesen beiden Männern vor sich ging. Ich spürte instinktiv, dass diese scheinbar unvorhergesehene Unterbrechung durchaus geplant war: Wäre meine Gesellschaft ihm nicht angenehm, hätte sich da Silva mit irgendeiner überraschenden Angelegenheit entschuldigen und sofort verschwinden können. Fand er es hingegen der Mühe wert, mir seine Zeit zu opfern, konnte er so tun, als wisse er nun Bescheid, und den jungen Mann einfach wieder fortschicken.
Zum Glück entschied er sich für die zweite Alternative.
» Wie
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