Das Echo der Vergangenheit
deutliche Gefühl, dass ihm gerade eine seltene Ehre zuteilwurde. Zwanzig Minuten später brachte er das Motorrad brummend zum Stehen, stieg ab und gab den Schlüssel zurück. »Super.«
Er wusste nicht, warum Lance angerufen hatte und was die großzügige Geste bedeutete. Freunde waren sie nicht gerade geworden. Er hatte für Sofie getan, was er konnte, aber es hatte nicht funktioniert, und seither hatte es keinen Grund mehr gegeben, Kontakt aufzunehmen. Aber das, was Lance gesagt hatte, hatte in seinen Gedanken Fuß gefasst.
Wenn er ehrlich war, dann waren es nicht nur die Worte, sondern auch die Art und Weise, wie diese Leute lebten, liebten und beteten. Die Art, wie sie Gott und einander dienten. Das konnte er nicht vergessen, auch wenn seine Verletzung und Enttäuschung eigentlich alle Glaubensüberlegungen hätten vertreiben müssen.
Lance gab dem dösenden Hund, der auf seinem Oberschenkel lag, einen Schubs und stand auf. »Ich dachte, du solltest wissen, dass Sofie mit Carly für eine Weile hierherkommt.«
Einen Augenblick lang dachte er, Lance wollte damit ausdrücken, dass sie schon da war. »Sie hat das Sorgerecht bekommen?«
»Die Großmutter muss länger in die Reha und wird dauerhafte Behinderungen davontragen. Sie und Sofie haben das gemeinsame Sorgerecht, aber im Moment ist Carly bei Sofie.«
Entgegen aller Wahrscheinlichkeit hatte sie bekommen, was sie wollte. Er hätte am liebsten gejubelt und geweint und Gott dafür gedankt, dass sie durchgehalten hatte. Aber dann wurde ihm bewusst, dass wahrscheinlich noch ein langer Weg vor ihr lag. »Wie geht es den beiden?«
»Sie kommen klar. Sowohl mit Sofies Wohnung als auch mit dem Haus der Großmutter sind negative Assoziationen verbunden. Wir hoffen, dass eine neutrale Umgebung hilft.« Lance hob die Arme. »Und hier sind schon ein paar gute Dinge passiert.«
»Hofft sie auf ein Wunder?«
»Vielleicht. Das Wunder der Liebe und der Familie. Was immer wir ihr bieten können.«
Wir? Matt war nicht sicher, ob er etwas damit zu tun haben wollte. Es war verkehrt, dem Kind die Schuld zu geben, und verstieß gegen alles, wofür er eintrat. Wie oft hatte er in Beratungsgesprächen davor gewarnt? Und doch hatte Eric einen Haufen Schuldgefühle hinterlassen und Carly nutzte das aus.
Sie waren aus dem gleichen Holz geschnitzt. Vielleicht war das nicht ihre Schuld. Sie kannte nichts anderes, war es gewohnt, dass Manipulation andere erstickte und fesselte. Aber sie wusste, wie viel Macht sie über Sofie hatte. Dessen war er sich sicher.
»Wann kommen sie denn?«
»Übermorgen. Komm rein.« Lance zog ihn ins Haus, das von Düften und Lachen erfüllt war. Das ausgezeichnete Essen entwaffnete ihn und wieder einmal umhüllten ihn Wärme und Freundschaft. Hatte Gott Lance einen Fingerzeig gegeben, damit er die Angel auswarf und Matt ein für alle Mal einfing? Star sagte, dass er Menschen wieder hinkriegte. Aber was wollte er mit einem Zweifler, einem gebrochenen Kind und einer Frau, die einen Toten liebte, schon anfangen?
Mit zugeschnürter Kehle blickte er in die Runde und fing Stars türkisfarbene Augen und ihren Blick auf. Sie erinnerte ihn an Carly – zerbrechlich, beschädigt und erstaunlich weise –, wie sie mit ihrem unsensiblen und zutreffenden Zitat bewies: »‚Der, welchen Blindheit schlug, kann nie das Kleinod des eingebüßten Augenlichts vergessen.‘«
Es gefiel ihm gar nicht, dass sein Verlust zu sehen war. Seine Stimmung verdüsterte sich. Er wünschte, er wäre doch nach Hause gegangen. Sein Leben hatte er der Aufgabe verschrieben, Kindern in schlimmen Situationen zu helfen, aber mit Carly hatte er ein Problem. Solange Sofies Loyalität zuerst Erics Kind galt, konnte sie sich nicht von der Vergangenheit befreien oder über die Zukunft nachdenken.
Ausgerechnet Lance sollte das sehen. Er wandte sich zu ihm um und erkannte, dass er genau das sah. Dann traf es ihn wie ein Schlag. Glaubten sie, er könnte irgendetwas tun, etwas, das er noch nicht probiert hatte, Worte sagen, die noch nicht ausgesprochen worden waren?
Er bestritt nicht länger den Wert des Glaubens und öffnete sich allmählich für die Macht und Gegenwart Gottes, aber Sofie hatte das alles auch ohne ihn. Sie hatte ihre Familie und jetzt hatte sie Carly. Was glaubten sie, was er ihr noch zu bieten hatte?
Er stand auf und bedankte sich für das Abendessen. »Wenn Sofie kommt, sagt ihr bitte … na ja, sie weiß ja, wo ich bin.«
Wenn sie ihn aufsuchte, was dann? Carly weckte
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