Das Echo der Vergangenheit
unzulänglich sie sich fühlte, sie würde tun, was nötig war. Sie wünschte nur, sie wüsste, was das war.
Sie drehte sich um und sah Matt an ihrem Wagen lehnen, in Stoffhose und Anzughemd gekleidet, die Ärmel aufgekrempelt und die Arme verschränkt. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Den Gedanken an ihn hatte sie hinter die akuten Bedürfnisse jedes Tages zurückgedrängt und alle Gefühle, die sich verräterisch anfühlten, abgeblockt. Aber jetzt stand er da und sie blieb viel zu lange stehen, um ihn anzusehen.
Er richtete sich auf, als sie schließlich näher kam. »Hi.«
Sie befeuchtete ihre Lippen, aber ihre Kehle war ganz trocken, als die Erinnerung an die Szene auf dem Dach über sie hereinbrach. Erics Griff, seine Panik … sein Fall. Wenn Matt Carly doch nur hätte zu ihm gehen lassen …
»Wie geht es dir?« Seine Stimme klang rau.
Sie konnte nicht einmal anfangen, darüber nachzudenken. Es ging ihr, wie es ihr gehen musste. »Ich … habe gerade Carly zur Schule gebracht.«
»Das habe ich gesehen.«
»Sie ist nervös.«
»Neuer Ort, neue Leute.«
»So viel Veränderung.« Sie bemerkte, dass sein Haarschnitt herausgewachsen war, sodass er entspannter, weniger förmlich wirkte, aber sein Gesicht sah nicht entspannt aus. Sie konnte nur erahnen, was ihm durch den Kopf ging. »Wie hast du …«
»Auf meinem Weg zur Arbeit.« Er zeigte die Straße hinunter.
»Oh.« Wieder ein Arbeitstag, bei dem er auf Hilferufe reagierte und hereinschwebte wie ein Mann, der die Welt rettete. Nur dass er es nicht getan hatte. »Lance hat mir erzählt, dass du letzte Woche zum Essen da warst.«
Er nickte. »Ich mag gutes Essen.«
»Und Harleys?«
»Gibt es auch etwas, das du nicht weißt?«
Sie seufzte. »Zu viel.«
»Tun dir die Rippen noch weh?«
Sein Hechtsprung hatte sie und Carly davor bewahrt, über die Dachkante zu stürzen, aber er war zu spät gekommen. Etwas in ihnen war zerbrochen, als Eric gestorben war, und Matt hatte damit zu tun, ob er wollte oder nicht. »Viele Dinge tun weh.«
»Stimmt.«
»Matt …« Sie verschränkte die Arme. »Ich weiß nicht, was aus der ganzen Sache wird.«
»Wie möchtest du denn, dass es wird?«
»In einer perfekten Welt?«
»Nein, in der, die wir haben.«
Sie sah zu Boden. »Es gibt viel zu verarbeiten.«
»Für dich? Oder für Carly?«
»Für uns alle.«
»Wir könnten es auch zusammen versuchen.« Sein Ton war vorsichtig optimistisch.
Der Gedanke, jemanden zum Anlehnen zu haben oder auch nur an ihrer Seite, brachte sie beinahe zum Weinen. »Ich bin mir nicht sicher, ob das im Moment möglich ist.«
»Warum essen wir nicht zusammen und reden darüber?«
»Sie ist nicht ...«
»Ich meine nicht Carly. Du hast Menschen, die auf sie aufpassen können.«
Ihr Herz wurde schwer. Er wollte ihre Beziehung da wieder aufnehmen, wo sie sie aufgegeben hatte. Sie sah es an seinem Gesicht. Aber wie konnte sie noch mehr geben, als sie jetzt schon gab? »Ich kann sie nicht allein lassen. Sie spricht mit niemandem außer mit mir. Es ist eine Form von Mutismus.«
»Selektiv.«
Das war der Begriff, aber es klang so manipulativ. »Sie hat es genauso wenig unter Kontrolle wie ein Stotterer.«
»Und wenn Lance sich mal eingehend mit ihr beschäftig? Bei dem Baby hat er doch ...«
Es schien ihm ernst zu sein.
»Was Carly braucht, ist Liebe.«
Er blickte zu der Schule hinüber, in der das Mädchen verschwunden war. »Carly muss lernen, dass man Liebe nicht horten kann.«
Das traf. Sie horteten keine Liebe, sie mussten sie überleben.
Er wollte, dass sie etwas sagte, aber was sollte sie noch sagen? Die Dinge waren zu kompliziert, zu schmerzhaft. Sie hatte das Gefühl, als wäre sie im Krieg gewesen und Granaten würden immer noch über ihrem Kopf explodieren. Die vergangenen sechs Jahre waren eine Illusion gewesen und sie war wieder in die Realität von Eric und Carly und ihrer eigenen Unzulänglichkeit geworfen worden.
Es gab nur einen Weg hindurch. Matt verstand nicht, dass sie für das Kind tun musste, was sie konnte. Alles andere war nicht wichtig. Sie konnte nur Absolution erlangen, indem sie Carly liebte.
* * *
Er hätte vorbeifahren können. Aber er hatte sich lieber freiwillig in die Schusslinie begeben, anstatt darauf zu warten, dass er plötzlich getroffen wurde. Sofie hatte so quälend schön ausgesehen mit ihrem seidig weichen Haar im Nacken, ihrer Stoffhose und dem figurbetonten Top, die ihre grazile Gestalt betonten, mit ihrem zarten bräunlichen Teint
Weitere Kostenlose Bücher