Das Echo der Vergangenheit
Lance sich im Krankenhaus aufhielt, war es eigentlich Sofie, die ihm Sorgen machte. Hatte sie Matt so viel von sich erzählt, dass ihm bewusst war, wie zerbrechlich sie unter dem glatten Äußeren war, das sie Schicht für Schicht wie eine Perle gebildet hatte? Sie hatte nach vorne geblickt, hatte studiert und Boden unter die Füße bekommen. Belmont zu verlassen, war ein großer Schritt gewesen, aber ein noch größerer Schritt wäre eine neue Beziehung. War Matt der Richtige für sie?
Er musterte den großen Mann, der sich vor der offenen Zimmertür zu ihm gesellte. Es schrillten keine inneren Alarmglocken, aber beim letzten Mal hatte er auch nichts bemerkt – mit tragischen Folgen. Matt schien ein netter Kerl zu sein, gewissenhaft, nachdenklich. Lance begrüßte ihn und sagte: »Ich habe neue Informationen.« Er reichte ihm den Zettel, auf dem er die Telefonnummer in Mexiko notiert hatte. »Das ist ...«
Matts Aufmerksamkeit wurde sofort abgelenkt, als Sofie aus Marias Badezimmer kam, und der Blick, den die beiden wechselten, sagte alles. Falls Matt nicht der Mann war, der ihr helfen konnte, die Vergangenheit hinter sich zu lassen, wäre er es jedenfalls gerne. Bevor einer der beiden sprach, rief Maria nach Diego und Sofie brachte den frisch gewickelten Säugling zu ihr ans Bett.
Maria schien kräftiger als am Tag zuvor, obwohl er immer noch Spuren von Schmerz und Angst an ihr wahrnahm. Warum hatten sie nicht bemerkt, wie krank sie war? Aber andererseits waren sie Maria am Tag der Geburt zum ersten Mal begegnet. Da hatte die Infektion schon längst begonnen. Er hatte nicht gewusst, dass sie so ein tapferes Mädchen war.
Sie sah ihn mit einem durchdringenden Blick an, als er an ihr Bett trat. »Hast du mit meiner Mutter gesprochen?«
So konnte man die Neuigkeiten auch verkünden.
Matt zog die Augenbrauen hoch. »Sie haben bereits mit Marias Mutter gesprochen?«
Lance reichte ihm den Zettel. »Das hier ist ihre Nummer.« Er hatte versucht, es Matt zu erzählen, bevor dieser von Sofies Auftreten abgelenkt worden war.
»Was hat sie gesagt?« Maria klang atemlos. » Digame .«
Eine wohlige Wärme durchströmte ihn. »Sie hat gesagt, dass sie dich lieb hat.«
In Marias Augen traten Tränen. Der spanische Wortschwall, der folgte, war zu schnell, als dass Lance ihn hätte verstehen können, aber dann sagte sie auf Englisch, während sie ihren Sohn an sich drückte: »Dann können wir nach Hause?«
Lance warf Matt einen Blick zu. »Darüber reden wir, wenn sie hier ist.«
»Warten Sie einen Moment.« Matt runzelte die Stirn. »Sie kommt her? Wie?«
Maria schnaubte verächtlich. »Sie hat ein Touristenvisum. Sie ist eine angesehene Professorin an der Universität.«
Erstaunt starrten die anderen sie an.
»Ich bin kein Abschaum.« Ihre Stimme hatte einen Unterton gekränkter Wut.
»Das denkt auch niemand.« Lance legte ihr seine Hand auf den Kopf und sah sie an. »Niemand denkt das, Maria.«
Mit Tränen in den Augen blickte sie zu ihm auf und plötzlich wurde ihm bewusst, dass sie selbst sich für Abschaum hielt. Nein . Der Schmerz, den sie hatte erleiden müssen, drückte plötzlich wie eine zentnerschwere Last auf seine Schultern. Die tiefe Liebe Gottes zu ihr und zu dem Leben, das sie auf die Welt gebracht hatte, überwältigte ihn. Spüre sie, Maria. Glaube daran . Sie hatte gesagt, die Liebe habe sie überwältigt, die Liebe für ihren winzigen Sohn. Jetzt wollte er, dass sie dieselbe Liebe spürte, die ihr galt, die Liebe des Vaters zu seinem Kind, die grenzenlose Liebe Gottes.
»Lance.« Sofie berührte seinen Ellbogen. »Cassinia ist hier.«
Er trat einen Schritt zurück, um der grauhaarigen Frau Platz zu machen, die ihn argwöhnisch musterte. Auch Matt sah ihn prüfend an.
Sofie flüsterte: »Matt hat ihr die Sache mit Marias Mutter bereits erklärt.«
Hat er? Wann denn?
»Bist du okay?«
Er schluckte. »Ja, schon.«
Cassinia runzelte die Stirn. »Ich muss alleine mit Maria sprechen. Übernehmen Sie bitte das Baby, Mr. Michelli.«
Lance nahm Diego auf den Arm und folgte Matt und Sofie auf den Gang hinaus. Die Spannung zwischen den beiden war beinahe mit Händen zu greifen. Er grinste schief. »Wollt ihr zwei lieber allein sein?«
Sofie funkelte ihn an.
»Ich könnte ja mit Diego einen Spaziergang machen.« Die Scherze waren eine natürliche Reaktion, aber er wollte auch ihren verblüfften Mienen entfliehen. Ein Spaziergang war gar keine so schlechte Idee. Als er schon beinahe den
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