Das Echo der Vergangenheit
steht das denn schon leer?«
»Ich glaube, die Eigentümerin ist vor einigen Monaten gestorben. Eine alte Frau – Evvy irgendwas. Sie hat Lance bei der Suche nach einigen von Nonnas Puzzlestücken geholfen. Er hat für sie die Gartenarbeit erledigt.«
»Ich sehe aber gar kein Schild, dass das Haus zu verkaufen ist.«
Sofie zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht, wem es jetzt gehört.«
»Glaubst du, es hat eine große Fledermaushöhle?«
Sie lächelte. »Du magst alte Häuser.«
»Ich mag Dinge mit Durchhaltevermögen.«
Durchhaltevermögen.
Ein Windstoß trug den Geruch von Weideland herüber, als sie das Ende der Straße erreicht hatten. Sie waren am Stadtrand mit ein paar brachliegenden Feldern, auf denen ein Pferd und zwei Ziegen grasten. Ein Vogel sang. Sie wusste nicht, was für ein Vogel es war.
Er sagte: »Willst du darüber reden?«
»Ich bin mir nicht sicher, ob ich die richtige Entscheidung getroffen habe.«
»Die Tanzschule zu eröffnen, anstatt deinen Abschluss zu machen?«
Sie hatte eigentlich etwas Größeres im Sinn gehabt.
Er warf ihr einen Blick zu. »Bei meiner beruflichen Neuorientierung habe ich mich bestimmt tausend Mal gefragt, ob es nicht ein Fehler war.«
»Woher weißt du, dass es keiner war?«
Er zuckte mit den Schultern. »Ich fühle mich jetzt wohler in meiner Haut.«
Ein Lächeln umspielte ihre Mundwinkel.
»Wenn ich eine Stelle als Juniorpartner angenommen hätte, wäre mein Weg vorgezeichnet gewesen. Ich hätte eine Menge Geld verdienen können und hätte einen einflussreichen Posten bekleidet.«
»Aber …«
»Das Fehlverhalten von zwielichtigen Politikern zu vertuschen, war dem zu ähnlich, womit ich aufgewachsen bin. Ich hatte wohl einfach keine Lust mehr zu lügen.«
»Das heißt, du hast die richtige Entscheidung getroffen.«
»Das habe ich.«
Sie holte zitternd Luft. »Wie lange hat es aber gedauert, bis du es wusstest?«
»Länger, als du dir gegeben hast.« Er drückte ihre Hand. »Mach einfach den ersten Schritt.«
»Ich habe einen Prospekt erstellt.«
»Hast du ihn schon rausgeschickt?«
»Noch nicht.«
»Leg die Prospekte aus. Und warte ab, was sich daraus ergibt.«
»Es kann sein, dass ich nicht genügend Schüler für einen Kurs zusammenbekomme.«
»Dann überlege ich es mir noch mal.«
Sie zog die Augenbrauen hoch. »Zwischen den pinkfarbenen Gymnastikanzügen und Ballettschuhen mit Riemchen könntest du dich als größere Ablenkung erweisen.«
»Ist das nicht gut bei dem ganzen Hochheben und Werfen?«
Sie lachte. »Es wird nicht viel geworfen, aber ziemlich viel aufgefangen.«
»Im Fernsehen werfen sie die Tänzerinnen immer durch die Gegend. Aber ich vermute, die sind über die ersten Stadien schon hinaus.« Sein Lächeln ließ sie innerlich erschauern.
»Tanzfiguren, die willkürlich erscheinen, sind trotzdem genau definiert.«
»Ich verstehe.« Er blieb stehen und drehte sich zu ihr um. »Warum erzählst du mir nicht, was wirklich los ist?«
Der Schmerz durchbrach ihre Maske. Viel zu lange hatte sie ihn unterdrückt. »Warum hat Carly nicht mehr angerufen?«
»Du weißt, warum.«
»Er lässt sie nicht?«
»Vielleicht hat er ihr das Telefon weggenommen.«
»Warum kann sie nicht das von einer Freundin benutzen?«
Er hob ihre Hand an seine Brust. »Wenn er deine Gedanken so steuern konnte, was für eine Macht wird er dann über ihre Gedanken haben?«
Sie wusste, was für eine Macht das war. Sie hatte sie miterlebt, als Carly noch im Kindergarten gewesen war. Sie hatten den ganzen Tag unbeschwert verbracht, aber in dem Augenblick, als Eric nach Hause kam, fixierte Carly sich völlig auf ihn, ganz konzentriert, so als könne es kein Dreieck geben, sondern nur die Liebe zwischen Eric und einem beliebigen anderen Punkt.
»Ich habe sie verloren, Matt.« Der Selbstvorwurf in ihrer Stimme schmerzte ihn.
»Ich weiß.« An manchen Tagen erwachte er mit dem Gefühl, dass Jacky wie ein junger Superman über die Gleise gesprungen und dem Zug davongelaufen war und sich versteckt hatte, während sein großer Bruder Matt die Dinge zu Hause zurechtbog, und er würde irgendwann hereinspazieren, ewig neun Jahre alt, mit seinem schiefen Grinsen und den leuchtend blauen Augen. »Aber sie lebt. Sie ist bei ihrem Vater.« Und entweder war Eric eine Gefahr oder nicht. Beides ging nicht. »Carly hat nicht gesagt, dass sie Hilfe braucht.«
»Was ist, wenn sie es versucht hat, aber ich habe es nicht verstanden?«
»Sie ist elf Jahre alt, Sofie,
Weitere Kostenlose Bücher