Das Echo des Bösen: Soul Seeker 2 - Roman (German Edition)
eingetaucht bin.
Es ist das gleiche Phänomen, von dem Paloma mir erzählt und das sie mir zu verfeinern empfohlen hat. Sie meinte, es werde mir helfen, die Wahrheit eines Menschen zu erkennen.
Zum ersten Mal habe ich es erlebt, als ich Dace und Chepi an der Tankstelle begegnet bin. Ohne mich auch nur darum bemüht zu haben, hatte ich mich augenblicklich auf die Wolke aus Traurigkeit und Kummer um Chepi herum und auf den Strom reiner, bedingungsloser Liebe eingestimmt, der von Dace zu mir geflossen kam.
Und jetzt passiert es wieder, ebenfalls ohne dass ich es angestrebt hätte, nur diesmal mit Jennika.
Nachdem ich ein paar Minuten hinter ihrer stählernen Fassade verbracht habe, kann ich ihr nicht mehr böse sein. Kann nicht mehr denselben schnippischen Ton anschlagen. Wie die meisten Menschen versucht sie einfach ihr Bestes zu tun.
»Komm schon.« Ich hebe das Kinn und schnuppere demonstrativ. »Es riecht, als würde Paloma ihre berühmten Blaumaispfannkuchen backen, und die willst du dir garantiert nicht entgehen lassen.«
Sosehr ich mir auch vorgenommen hatte, netter zu Jennika zu sein, als sie darauf besteht, mich zur Schule zu fahren, werfe ich Paloma sofort einen flehentlichen Blick zu und bitte sie auf diese Weise, irgendwie einzugreifen.
Ich muss mit ihr reden. Muss meine Ausbildung fortsetzen. Aber jetzt, mit Jennikas Überraschungsbesuch, habe ich keine Ahnung, wann wir das schaffen sollen. Als Jennika gestern Abend gegangen ist, war es zu spät und zu kalt, als dass Paloma mir noch hätte zeigen können, wie man das Feuerlied beschwört, also hatte ich gehofft, wir könnten es heute tun. Doch angesichts der Umstände kommt mir diese Aussicht eher fraglich vor.
Trotz meines flehenden Blicks wünscht mir Paloma lediglich einen schönen Tag und meint, dass wir uns ja abends wiedersehen. Und obwohl ein Hauch von Hintersinn in ihren Worten mitschwingt, zupft mich Jennika, noch ehe ich es durchschaut habe, am Ärmel und zieht mich hinaus zu ihrem Auto.
»Du musst wirklich mal fahren lernen.« Sie setzt sich hinters Lenkrad, während ich auf den Beifahrersitz rutsche.
»Ich weiß«, erwidere ich und hoffe, dass sie mir nicht anbietet, die Plätze zu tauschen und mich zu unterrichten. Dann kommen wir nur ins Streiten, und das möchte ich gerade jetzt unbedingt vermeiden.
»Nicht dass es hier irgendwelche besonders verlockenden Ziele gäbe, wenn du erst mal den Führerschein hast …«
Sie verzieht die Miene und teilt mir dadurch ein weiteres Mal mit, wie sehr sie diese Stadt verabscheut. Ganz leise zischt sie denselben abgegriffenen Monolog vor sich hin, dass ihr völlig unverständlich ist, warum ich lieber in diesem Kaff lebe als in der supercoolen Behausung, die sie gerade in L. A. bezogen hat. Schließlich seufzt sie, bauscht ihr Haar auf und wendet sich der Stereoanlage zu.
Als sie mich bittet, im Handschuhfach nach ihrer Hole- CD zu suchen, weiß ich, dass sie noch einmal von vorn anfangen und einen gemeinsamen Nenner finden will. Musik aus den Neunzigerjahren, der Zeit ihrer Jugend, ist immer der Rettungsanker, wenn ihr nach einem Abstecher in weniger schwere Zeiten zumute ist.
»Du siehst süß aus in dem Top«, sagt sie. Kaum hat Courtney Love die ersten Takte von Celebrity Skin gesungen, bessert sich ihre Laune schlagartig. »Und die Jeans passt dir wie angegossen – aber das hatte ich schon im Gefühl.« Sie wirft mir einen anerkennenden Blick zu, während ich nur achselzuckend ein Dankeschön murmele und aus dem Fenster schaue. Draußen durchwühlt ein räudiger Straßenköter den Inhalt einer umgekippten Mülltonne, während eine noch räudigere Katze zusieht und nur darauf lauert, sich bei der erstbesten Gelegenheit mit ins Geschehen zu stürzen.
»Dace Whitefeather wird es noch massiv bereuen, dass er dich sitzen gelassen hat«, sagt sie in einem irregeleiteten Versuch, mich aufzuheitern.
»Das will ich wirklich nicht hoffen.« Ich äuge zu ihr hinüber und registriere zufrieden, dass sich ein leichter Anflug von Erschrecken auf ihrer Miene abzeichnet.
Sie zieht die Brauen zusammen, sichtlich bemüht, aus meinen Worten – und aus mir – schlau zu werden. Sie versucht, irgendwo eine Spur ihrer Lehren zu finden, von den Werten, die sie mir mühsam einzubläuen versucht hat.
»Es ist besser, wenn er gar nicht an mich denkt.« Ich presse die Worte an dem Schluchzen vorbei, das mir im Hals steckt – dem Schluchzen, das sich seit jenem schrecklichen Abend in seiner Küche dauerhaft
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