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Das Echo dunkler Tage

Das Echo dunkler Tage

Titel: Das Echo dunkler Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dolores Redondo
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Ihnen eine Mehlprobe gebe, könnten Sie dann feststellen, ob dieses Mehl in einem Produkt verwendet wurde?«
    »Wahrscheinlich schon, denn jeder Hersteller hat sein eigenes Mahl- und Mischverfahren. Außerdem sind vermutlich auch Mix und Herkunft der Sorten unterschiedlich. Mit einer chromatographischen Analyse ließe sich das sicher näher bestimmen.«
    Nachdenklich presste Amaia ihre Lippen zusammen. In diesem Augenblick brachte der Kellner das Essen: Calamares und Hackfleischbällchen in einer Soße, die noch in dem Tonschälchen brutzelte.
    »Bei diesem Verfahren werden die einzelnen Bestandteile einer Substanz isoliert und quantitativ bestimmt«, erklärte die Wissenschaftlerin.
    »Sie fahren heute Abend, haben Sie gesagt?«
    Dr. Takchenko lächelte.
    »Ich kann mir schon denken, worauf Sie hinauswollen. In meiner Heimat habe ich ebenfalls in einem rechtmedizinischen Labor gearbeitet, falls Sie noch Zweifel haben sollten. Wenn Sie mir die Proben heute noch zukommen lassen, kriegen Sie bis morgen die Ergebnisse.«
    Amaias Gehirn lief auf Hochtouren. Sie überlegte, welche Vorteile es hätte, diese Informationen binnen vierundzwanzig Stunden zur Verfügung zu haben. Natürlich würde man die Ergebnisse vor Gericht nicht verwenden können, aber die Ermittlungen würden dadurch beschleunigt. Und wenn das Ergebnis relevant war, würden die offiziellen Analysen es ja bestätigen.
    Sie stand auf und wählte Jonans Nummer.
    »Wenn es Ihnen recht ist, würde ich gerne mitkommen. Die Ergebnisse werden zwar nicht vor Gericht verwendbar sein, aber ich muss die Analyse trotzdem überwachen.«
    Sie entfernte sich etwas, um mit Jonan zu sprechen.
    »Jonan, bring doch bitte eine Probe von allen Mehlen, die Montes und Zabalza sichergestellt haben, ins Hotel Baztán. Wir fahren nach Huesca.«
    Sie legte auf. Lächelnd betrachtete sie erst die Wissenschaftler, dann das Essen: Sie hatte auf einmal wieder Appetit.
    Zwanzig Minuten später kam Jonan und setzte sich zu ihnen an den Tisch.
    »Dann sagen Sie mir mal, wo genau es hingeht.«
    »Zum Bear Observatory of the Pyrenees , das liegt in der Sobrarbe, ganz im Norden der Provinz Huesca. Früher war es mal ein Königreich, später wurde es ein Teil von Aragonien. Im Navi geben Sie am besten Ainsa ein.«
    »Ainsa kommt mir bekannt vor, das ist eine mittelalterliche Stadt, oder? Gut erhalten, mit Kopfsteinpflaster und so.«
    »Genau. Ainsa war im Mittelalter wichtig, vor allem wegen seiner strategischen Lage zwischen dem heutigen Nationalpark Ordesa, dem Monte Perdido und den beiden Naturparks Sierra y Cañones de Guara und Posets-Maladeta. Wer damals Ainsa hielt, hatte einen großen Vorteil.«
    »Und in dieser Gegend gibt es Bären?«
    »Nun ja, ich fürchte, Bären sind wesentlich kompliziertere Wesen, als die meisten Menschen es vermuten würden.«
    »Komplizierte Bären«, sagte Amaia grinsend zu Jonan. »Stell dich schon mal drauf ein, dass wir ein Profil erstellen müssen.«
    »So verrückt ist der Gedanke gar nicht. Erst wenn wir annehmen, dass jeder Bär einen eigenen Charakter hat, dass jeder Bär anders ist, können wir ein Exemplar wirklich beobachten und analysieren. Dr. Takchenko und ich reisen viel herum: in Mitteleuropa, in den Karpaten, Ungarn, in abgelegenen Landstrichen zwischen dem Balkan und dem Ural und natürlich in den Pyrenäen. Ainsa ist nicht gerade berühmt für seine Bären, aber es gab dort bereits eine hervorragende Infrastruktur zur Beobachtung der Natur, vor allem von Vögeln. Deshalb war es der ideale Ort für unser Labor. Außerdem erhält das Unternehmen, das uns sponsert, einige der Investitionen wieder zurück: durch die Zentren zum Erhalt von Tierarten, durch geführte Touren, Spenden von Touristen und Besuchern, und davon gibt es in Ainsa das ganze Jahr über nicht wenige.«
    »Das heißt, Sie beschäftigen sich nicht nur mit Bären?«
    »Nein, wo denken Sie hin. Je nach Habitat haben wir es mit einer großen Bandbreite von Tieren zu tun. Weil diese Täler gut gepflegt werden, sind sie für viele Arten die letzte Zufluchtsstätte: tagaktive Raubvögel wie Steinadler, Rotmilane, Wanderfalken, Habichte, Sperber oder für nachtaktive wie Uhus, Steinkäuze und Schleiereulen. Man sieht auch große Aasfresser wie Bartgeier oder Aasgeier. Und zahllose kleinere Vogelarten. Meine Kollegin und ich kümmern uns aber mehr um große Säugetiere: Wildschweine, Hirsche, Füchse. Obwohl die kleineren Arten wie Fledermäuse, Spitzmäuse, Kaninchen, Eichhörnchen,

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